Auweia, auweia. Dass die Bundesliga für die Lilien ein ordentliches Brett werden würde, war allen klar. Dass der SVD in der Erstklassigkeit aber mal so gar kein Bein auf den Boden bekommen würde, davon musste man nicht zwingend ausgehen. Jämmerliche 17 Punkte sammelten die 98er in 34 Partien. Fast das Doppelte hätte es für den Klassenerhalt schon sein müssen. Lediglich drei Spiele konnten sie gewinnen, zu Hause nur sechs Punkte einfahren und in der gesamten Rückrunde nur sieben sammeln. Eine Bilanz des Schreckens, die einen enttäuschten Kolumnisten zurücklässt.
Der Platz auf dem Treppchen, er ist dem SV Darmstadt 98 am Ende gerade so erspart geblieben. Die drei schlechtesten Vereine in 61 Jahren Bundesliga bleiben Tasmania Berlin, der Wuppertaler SV und der FC Schalke 04. Sie hatten im Verlauf einer Bundesligasaison tatsächlich allesamt weniger als die 17 Punkte auf dem Konto, die der SVD in 34 Begegnungen sammeln konnte. Doch den Platz des viertschlechtesten Teams, den hat der SVD nunmehr inne.
Verzicht auf mutige Transfers
Immerhin kehrt der SVD als finanziell gesunder Klub in die 2. Bundesliga zurück. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass er weder im letzten Sommer noch in der Wintertransferperiode ins Risiko gegangen war. Von den elf Zugängen kamen sieben per Leihe, wobei Matej Maglica im Verlauf der Vorrunde fest verpflichtet worden war. Letztlich zahlten die 98er nur für Christoph Klarer und Fraser Hornby Ablösesummen im für Bundesligaverhältnisse niedrigen Bereich von 3,8 Millionen Euro. Wie viel Geld für Maglica floss, ist nicht bekannt. Es dürfte aber ein überschaubares Sümmchen gewesen sein. Der SVD hat sich somit bei seinem Bundesligaabenteuer nicht verhoben. Sonderlich gut angelegt waren die getätigten Ausgaben jedoch nicht. Die so wichtige Bundesligaerfahrung brachte kaum ein Zugang mit. Zudem waren alle neuen Spieler – außer den im Winter geliehenen Gerrit Holtmann und Sebastian Polter – 26 Jahre oder jünger. Von den Neuen überzeugten nur Tim Skarke sowie in Ansätzen Fabian Nürnberger und Julian Justvan. Das führte allerdings dazu, dass die Lilien den Aufstiegskader nicht auf Bundesliganiveau anheben konnten. Die Verantwortlichen müssen sich letztlich ankreiden lassen, keinen konkurrenzfähigen Kader zusammengestellt zu haben. Etwas, das 2015 unter Dirk Schuster gelungen war, als mehrere Bundesligaroutiniers ans Bölle kamen. Obendrein schnitten sich die Lilien mit der Abgabe von Phillip Tietz ins eigene Fleisch. Er fehlte als robuster Zielspieler und (in aller Regel verletzungsfreier) Torjäger an allen Ecken und Enden.
Keine Balance über die gesamte Saison hinweg
Hinzu kam: Die Defensive als Prunkstück der Aufstiegssaison mutierte zur Schießbude. Sie kassierte 53 Tore mehr als noch letzte Saison. Zu oft war sie heillos überfordert, zu regelmäßig fielen die Gegentore zu einfach und zu häufig legten sie den Gegenspielern die Tore gleich selbst auf. In gerade einmal drei Partien kassierte das Team kein Gegentor. Dafür setzte es fast in jedem dritten Spiel Niederlagen mit drei oder mehr Toren Unterschied. Dass der Kader in sich limitiert ist, zeigt auch die Tatsache, dass ihm in jedem zweiten Spiel kein eigener Torerfolg gelang. Dabei war das Team zu Saisonbeginn phasenweise mit Hurra-Fußball angetreten. Hatte gegen Bremen und Gladbach vier beziehungsweise drei Tore erzielt. Doch hinten bekamen sie den Laden einfach nicht dicht. Als das dann zwischenzeitlich besser gelang, fielen jedoch vorne kaum noch Tore. So schaffte es Torsten Lieberknecht über den gesamten Saisonverlauf nicht, eine funktionierende Balance aus effizienter Offensive und stabiler Defensive zu etablieren.
Die Bundesliga mehr Last als Chance
Da wären gefährliche Standards eigentlich ein probates Mittel, um Tore zu schießen, wenn es schon beim Herausspielen hakt. Doch Pustekuchen. Über die gesamte Saison hinweg war der Ertrag nach Eckbällen oder Freistößen gleichbleibend unbefriedigend. Lediglich vier Tore resultierten aus ruhenden Bällen. Vom Elferpunkt verwandelte Tobi Kempe immerhin alle drei Strafstöße. Den letzten gab es allerdings am 8. Spieltag. Auch ein Indiz, wie harmlos die Lilien im gegnerischen Strafraum zu Werke gingen. Und wenn ein unterlegenes Team wie der SVD in der Bundesliga nicht untergehen will, dann sollte zumindest das eigene Stadion eine Festung sein. Doch auch hier: Fehlanzeige. Ein Sieg, drei Unentschieden, 13 (!) Niederlagen. Mit solch einer Quote ist kein Blumentopf zu gewinnen. Ganz anders der Mitaufsteiger aus Heidenheim, der zu Hause deutlich mehr Punkte sammelte als die Lilien in Gänze, und so frühzeitig den Klassenerhalt klar machte. Die Heidenheimer verstanden es zudem, mit Rückschlägen deutlich besser umzugehen. Sie zeigten eine Resilienz, die den Lilien komplett abging. Sie verstanden die Bundesliga als Chance. Sie spielten mutig, ohne naiv zu agieren. Das lässt sich von den 98ern nicht behaupten. Die Bundesliga wirkte auf sie wie eine erdrückende Last. Nach ermutigenden Auftritten folgte am nächsten Spieltag verlässlich ein Rückschlag. Nie ergab sich ein Momentum, aus dem ein Lauf hätte entstehen können. Heute klingt die von Präsident Rüdiger Fritsch gegenüber den Fans vor Saisonbeginn anempfohlene Demut wie ein angekündigter Abstieg. Mut klingt anders.
Das Image: Limitierte Lilien
Natürlich ist auch das Verletzungspech nicht zu leugnen. So bildete sich bei den Lilien nie eine Achse heraus und es verfingen keine Mechanismen, auf die das Team blind vertrauen konnte. Über 100 Änderungen nahm Torsten Lieberknecht über die 34 Spieltage hinweg in seiner Startelf vor. Ein Beleg, dass sich keine Stammelf herauskristallisierte. Sei es aufgrund von verletzten und gesperrten Spielern oder aber weil Lieberknecht glaubte, dem Gegner mit neuem Personal besser beizukommen. Das funktionierte selten. So bleibt am Ende festzustellen, dass es dem SV Darmstadt 98 in der Saison 2023/24 an den entscheidenden Faktoren fehlte: Erfahrung, Qualität, Tempo. Letzteres nicht nur in den Beinen, sondern auch in den Köpfen. Die Lilien, sie stießen in vielerlei Hinsicht an Grenzen.
Was soll man nun sagen? Der SVD hatte so keine Chance. Womöglich, weil man sie auch nicht in letzter Konsequenz ergreifen konnte oder wollte. Dabei hatte Lilien-Präsident Rüdiger Fritsch angesichts der am letzten Spieltag verspielten Zweitligameisterschaft noch kundgetan: „Scheiß auf die Kirsche, wir haben die ganze Torte.“ Nun, rückbetrachtend muss man sagen, die Bundesliga-Torte hat sich bestenfalls als Cupcake entpuppt. Als ein enttäuschendes Intermezzo. Ein Intermezzo, das ganz und gar nicht imagefördernd ist. Deutschlandweit werden viele den SVD als mit der Erstklassigkeit überforderten Klub in Erinnerung behalten. Als einen Klub, der zu den schlechtesten Bundesligisten aller Zeiten zählt. Schade eigentlich. Da wäre mehr drin gewesen. Aber wenigstens sinken jetzt wieder die gesalzenen Dauerkartenpreise. Wenigstens das!
Matthias und der Kickschuh
Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!