Im Londoner Stadtteil Clapham gibt es einen Park mit vier öffentlichen Fußballplätzen. Einer ist ein lausiger Hartplatz, aber drei haben Rasen. Schön mit großen Toren und abgekreideten Linien. Hoffentlich bekommt Kosta Runjaic niemals diese drei Plätze zu sehen – der Gemütszustand des „Lilien“-Trainers dürfte dann nämlich zwischen Fassungslosigkeit und Tobsuchtsanfall pendeln. Denn das Geläuf, auf dem jeder noch so dusselige Hobbykicker von Clapham spielen darf, hat mehr Qualität als sämtliche Rasenflächen am Böllenfalltor.
Was war das? Rasen am Böllenfalltor? Also, sagen wir es besser so: Freiflächen, auf denen – als kleine Inseln – Grasbüschel mühsam vor sich hin wachsen. Hier wurzelt schon seit Jahrzehnten nichts mehr, zumindest nicht tief genug, um stabil zu wachsen. Und wehe, es ist trocken, dann ist diese Buckelpiste ein echter Knöchelbrecher. Ein Pferd, das gewohnt ist, auf der Rennbahn in Niederrad zu starten, würde erst mal scheuen, müsste es auf dem Hauptfeld des Böllenfalltors traben. Gut, tieferliegende, eher semi-aktive Schafe fänden sich vielleicht noch zurecht auf diesem Acker. Bestenfalls hätten Feldkaninchen ihre Freude an dieser Berg-und-Tal-Landschaft.
Aber Runjaics Spieler sind weder Schafe und schon gar keine Kaninchen, zumindest was man so weiß. Sie sollen ja das moderne System beherrschen mit flotten Kurzpässen und hoher Ballzirkulation. Weil dafür aber ein recht ebener Untergrund benötigt wird und der Darmstädter Rasen von Woche zu Woche immer mehr retardiert, geht eigentlich nur noch Steinzeitfußball. Kugel nach vorne dreschen – alle Mann hinterher. So wie man früher in England kickte und rushte.
Und dabei sieht der normale Zuschauer nicht mal das volle Ausmaß des Grauens. Denn ein Erlebnis ist das Trainingsgelände auf dem Waldsportplatz, direkt hinter der Gegentribüne. In den Kratern dort lässt sich mühelos ein Fiat 500 verstecken – wenn man an den Maulwurfhügeln vorbeigekommen ist. So wird jedes Training ein Naturerlebnis und liefert den Beweis, dass die Herausforderungen des Profifußballs und die Möglichkeiten der Stadt Darmstadt noch nicht so recht korrelieren. Was das Böllenfalltor an Fußballplätzen bietet, ist so, als wenn auf der Bleichstraße ein Radrennen veranstaltet werden würde. Gewinnen würde derjenige, der auf dem wie von einem Panzer aufgerissenen, dann vernarbten Asphalt keinen Felgenbruch erleidet.
So erklärt sich auch die Heimstärke von Runjaics Mannschaft: Jeder Gegner erschrickt, wenn er zum ersten Mal den Platz am Böllenfalltor betritt. „Hoffentlich kommen wir hier heil wieder weg“, wird man denken. Vielleicht grübeln sie in den Kabinen darüber, ob es in Darmstadt keinen Platzwart gibt? Und wenn doch, was der so den ganzen Tag macht? Vielleicht hätte der gute, alte Schneppers Hans doch nicht in Pension gehen sollen. „Wenn man mich anruft und braucht, können sie mich immer fragen“, hat die Stadionmeisterlegende einmal gesagt. Ruckzuck käme er von Riedstadt herüber geradelt – und nur aus lauter Respekt vor dem früheren „Feldherren des Böllenfalltors“ (Darmstädter Echo) würde der Rasen nach unten wurzeln – und nach oben wachsen.
Also, Hans Schnepper anrufen! Oder die Heimspiele künftig in Clapham Common austragen.