Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Das Bölle rockt seit Saisonbeginn wieder. Die Fans sorgen für ordentlich Stimmung und die Lilien spielen in aller Regel einen mitreißenden Fußball, wovon sich die gegnerischen Teams immer wieder beeindrucken lassen. Nach den Begegnungen versammelt sich das Team dann vor der Südtribüne und feiert gemeinsam mit den Zuschauern ihre gelungenen Heimauftritte. Was nach Schlusspfiff zuletzt allerdings etwas irritierte, war die Musik, die aus den Boxen dröhnte.

Schon mal von „Torneró“ gehört? Nein? Vermutlich doch. Bei „Torneró“ handelt es sich um ein Italo-Pop-Lied aus den 1970er-Jahren. Seinerzeit war es ein verschmuster Song, der sich mit großem Erfolg in den internationalen Charts platzierte. Das Lied hat zweifelsohne Ohrwurmpotenzial, wird es doch durchweg von einem gesäuselten „Oooooooh, oh, oh, oh, oh, ooooh. Oh, oh, oh, oh, ooooh. Oh, oh, oooooh“ begleitet. Die Melodie lässt sich also selbst für unmusikalische Gemüter denkbar einfach mitsummen. Wie so oft in diesen Fällen, rief der Erfolg der Nummer Nachahmer auf den Plan. Michael Holm, Nino de Angelo, Mireille Mathieu und viele andere coverten das Lied. Im letzten Jahrzehnt zum Beispiel Antonia aus Tirol und eine gewisse Anna-Maria Zimmermann. Letztgenannte peppten den Originalsong ordentlich auf, beschleunigten dessen Tempo und unterlegten ihn mit Schlagerrhythmen Marke Einheitsbrei. Warum ich das alles erzähle? Weil es das Lied zuletzt im Bölle auf die Playlist geschafft hat! Geht’s eigentlich noch? Wenn schon am Bölle Italo-Pop gespielt wird, dann doch bitte das Original – und dabei handelt es sich ja wohl einzig und allein um Alberto Colucci mit „Tor! Lilien vor“ auch bekannt als „Die Sonne scheint“.

This is fucking Darmstadt

Sicher, es gibt Fans, denen die Musikauswahl im Stadion an der Nieder-Ramstädter Straße herzlich egal ist. Und es gibt auch Fans, die stimmen bei der Schlager-Version von Torneró nur zu glückselig mit ein. Doch wo soll das hinführen? Die Lilien sind schließlich mit einem reichhaltigen Repertoire an Songs gesegnet, die oft genug aus der Fanszene stammen und die es irgendwann verdientermaßen ins offizielle Musikprogramm am Bölle geschafft haben. In erster Linie ist dabei natürlich an den bereits erwähnten Colucci-Song, aber auch an die Lilienlieder von Decubitus zu denken. Zudem haben sich Milton Fisher mit „Europapokal“ in den Herzen der Lilienfans verewigt. Und dann gibt es natürlich auch den Hesse-Fred, der am Bölle gerne von den Fans angestimmt wird. Doch wann wurde zuletzt eigentlich besagter Hesse-Fred unmittelbar vor oder nach der Partie gespielt? Wann „Heller ist schneller“ von Decubitus? Stattdessen trällert ein belangloses „Oooooooh, oh, oh, oh, oh, ooooh“ aus den Boxen. Ganz so, wie es in Sinsheim, Heidenheim oder der Allianz-Arena der Fall sein könnte. Wir sind aber nun mal „Fucking Darmstadt“, wie Fanszene und Team vor noch nicht allzu langer Zeit gemeinsam feststellten. Ein Klub mit einem zwar neuen Stadion, dessen Bauart aber der britischen Tradition folgt und das kein belangloser Fußballtempel sein will.

Es wäre also sehr zu wünschen, wenn die Musikauswahl am Bölle nicht in Richtung Einheitsbrei abdriftet, sondern auf die hier vorhandene Exklusivität setzt. Das wären zweifelsohne die besagten Lilienlieder (in Kürze sollen zudem – wie man munkelt – neue Lilien-Songperlen von Maladd in de tête dazukommen!), gepaart mit den eine Zeit lang gespielten und allseits gerne gehörten „Three Little Birds“ von Bob Marley („Singin‘, Don’t worry about a thing, ‚Cause every little thing is gonna be allright“) oder auch „Just can’t get enough“ von Depeche Mode. Zumal der DM-Song 2014 die aus der Fanszene heraus vorgegebene Richtung wiedergab. Die Lilien waren seinerzeit die Freibeuter der 3. Liga. Doch sie wollten sich zur Winterpause nicht damit zufrieden geben, den Großen ein Bein zu stellen, sie wollten den Aufstieg – und der Song spiegelte genau das wider. Lieder wie dieses, sie stünden dem Bölle auch heute gut zu Gesicht. Ein rotziges AC/DC-Lied wie vor der Partie gegen Bielefeld war da schon ein Schritt in die richtige Richtung.

Weniger Schlager, mehr Boss

Gut möglich, dass die Spieler der 98er im letzten Jahr zur musikalischen Verwirrung beigetragen haben. Nach Erfolgen begannen sie zu den Zeilen des „Doppelhorn“-Schlagers eines gewissen Lorenz Büffel über den Rasen zu tanzen. Mallorca-Bierstraßen-Mucke at its best. Es wird gemunkelt, Fabi Holland oder Phillip Tietz hätten den Tanz in die Mannschaft getragen. Den Spielern sei es gegönnt, auf dem Platz derart ihrer Freude Ausdruck zu verleihen. Aber in diesem Rahmen sollte es dann bitte auch bleiben. Denn das Bölle ist schließlich das Bölle und kein Ballermann. Und mit Torsten Lieberknecht verfügt der Sportverein immerhin über einen Chefcoach mit einem sehr feinen Musikgeschmack [jüngst bewiesen im P-„Hörspiel“, Ausgabe #143 vom Mai 2022]. Besonders große Stücke hält „TL“ auf Bruce Springsteen. Wieso also nach einem der nächsten Heimerfolge nicht einfach „Glory Days“ vom „Boss“ einspielen? Der Song hätte auf jeden Fall mehr Bezug zum Spiel der Lilien, als es „Torneró“ je haben könnte.

 

„Vorwärts, SV Darmstadt – meine Liebe und mein Leid!“

Fr, 30.09., 18.30 Uhr: SC Paderborn – SV Darmstadt 98

Sa, 08.10., 13 Uhr: SV Darmstadt 98 – Fortuna Düsseldorf

Sa, 15.10., 13 Uhr: Karlsruher SC – SV Darmstadt 98

Di, 18.10., 20.45 Uhr (DFB-Pokal, 2. Runde): SV Darmstadt 98 – Borussia Mönchengladbach

Fr, 21.10., 18.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – Holstein Kiel

Sa, 29.10., 20.30 Uhr: FC St. Pauli – SV Darmstadt 98

sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog