2019 feiern viele Städte im In- und Ausland mit Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen „100 Jahre Bauhaus“. Auch Darmstadt widmet sich dem Thema in der Galerie Netuschil, im Kunst Archiv, dem Landesmuseum, in der Kunsthalle, der Hochschule sowie im Institut für Neue Technische Form. Schließlich nimmt die Stadt am Woog eine Sonderstellung ein: Hier wirkten nicht nur etliche Bauhäusler, auch das Bauhaus-Archiv war von 1961 bis 1970 im Ernst-Ludwig-Haus auf der Mathildenhöhe eingerichtet. Doch warum zog es dann nach Berlin um?
Geschichte, Atmosphäre, Arbeitsweise – Lehrer und Leben im Bauhaus sowie die Formen und Werke, die innerhalb dieser lebendigen Ideenschule und dieses Experimentierfeldes erdacht, gefunden und verwirklicht wurden, sind nach wie vor von größtem Interesse. Institutionell war das Bauhaus eine Kunsthochschule, ein Lehrbetrieb, in dem viel handwerklich experimentiert wurde. Kulturgeschichtlich gesehen ist es aber kein isoliertes Phänomen, sondern vielmehr der Schmelztiegel einer recht komplexen und verzweigten Entwicklung, die bis in die Romantik zurückreicht und sich in die Gegenwart fortsetzt. Das Bauhaus hat unsere Welt verändert – begonnen von der neuen Architektur über die Industrieform, angewandte Kunst bis hin zur künstlerischen Ausbildung. Ohne diese Institution würde heute alles völlig anders aussehen. Zu den Meistern zählen Lyonel Feininger, Johannes Itten, Paul Klee, Gerhard Marcks, Georg Muche, Oskar Schlemmer, Lothar Schreyer, Josef Albers, Wassily Kandinsky, László Moholy-Nagy, Marcel Breuer, Herbert Bayer, Joost Schmidt, Hinnerk Scheper, Gunta Stölzl und Otti Berger.
Zum 70. Geburtstag von Bauhaus-Gründer Walter Gropius (1883 bis 1969) am 18. Mai 1953 sagte Mies van der Rohe (1886 bis 1969): „… Das Bauhaus war eine Idee, und ich glaube, dass die Ursache für den ungeheuren Einfluss, den das Bauhaus auf jede fortschrittliche Schule in der Welt gehabt hat, in der Tatsache zu suchen ist, dass es eine Idee war. Eine solche Resonanz kann man nicht mit Organisation erreichen und nicht mit Propaganda. Nur eine Idee hat die Kraft, sich so weit zu verbreiten …“
Darmstadt als Bauhaus-Stadt
2019 wird „100 Jahre Bauhaus“ gefeiert – auch in Darmstadt (Details: siehe Infobox). Schließlich war Darmstadt einmal Bauhaus-Stadt: Hier wirkten nicht nur etliche Bauhäusler wie der Architekt Alfred Arndt (1898 bis 1976) und die Weberin und Fotografin Trude Arndt (1903 bis 2000), der Grafiker, Plastiker, Formgestalter und Maler Hanns Hoffmann-Lederer (1899 bis 1970) sowie der Direktor der ehemaligen Werkkunstschule Friedrich (Fritz) Hüffner, hier wurde auch – auf Anregung von Gropius – 1960 das Bauhaus-Archiv vom späteren Archivdirektor Hans Maria Wingler (1920 bis 1984) gegründet.
Diese Darmstädter Institution hatte sich zur Aufgabe gemacht, die neuere Geschichte der Architektur, des Kunsthandwerks, des „Industrial Design“ und der Kunstpädagogik zu erforschen. Das „Bauhaus-Archiv – Museum für Gestaltung“ unterhielt eine Sammlung und Bibliothek, eine museale Abteilung und arrangierte Ausstellungen, bot Vortragsreihen. Den Grundstock des Archivs, das im April 1961 im Ernst-Ludwig-Haus auf der Mathildenhöhe eröffnet wurde, bildete die Schenkung der Privatsammlung von Gropius. Im Laufe der Zeit wurde der Bestand durch weitere Stiftungen und Ankäufe ergänzt.
Gesammelt wurden Akten, Briefe, kunsttheoretische und -pädagogische Manuskripte, Zeitungsausschnitte, Flugblätter, Broschüren und Bücher, Fotos und anderes Reproduktionsmaterial, ferner architektonische Entwürfe sowie eine Beispielsammlung der handwerklich und industriell gefertigten Bauhaus-Erzeugnisse mit Entwurfszeichnungen und Modellen. Diese Dokumente wurden katalogisiert, wissenschaftlich ausgewertet und durch Publikationen und Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dabei wurden auch die Vorläufer im 19. Jahrhundert und die Nachfolgeinstitutionen – zum Beispiel das New Bauhaus in Chicago (ab 1937) und die Hochschule für Gestaltung in Ulm (1953 bis 1968) – berücksichtigt.
Auch Wingler selbst trug mühsam Material aus dem Stadtarchiv Dessau, dem thüringischen Landeshauptarchiv in Weimar sowie etlichen Privatarchiven in Europa und Amerika zusammen, um aus Briefen, Protokollen, Fotos, Plänen, Aufsätzen, Zeitungsnotizen, Programmen und Faksimiles das Bild einer geistigen Landschaft in seinem 588 Seiten starken Band vorzustellen. Das Standardwerk „Das Bauhaus“ dokumentiert präzise und umfassend die Entwicklung von seinen Anfängen bis zu seinem Ende.
Von Darmstadt nach Berlin
Die immer umfangreicher werdende Sammlung des Bauhaus-Archivs sollte schließlich in einem eigenen Museumsgebäude, das Walter Gropius 1964 eigens für die Rosenhöhe entwarf, untergebracht werden. Doch der Stadt Darmstadt fehlten die Mittel für den mit sechs Millionen Mark veranschlagten Bau. Sie konnte als Alternative lediglich den Aus- und Umbau der Merck-Villa in der Annastraße sowie einen höheren Etat anbieten. Letztlich wurden die Pläne von Gropius leicht modifiziert am Landwehrkanal in Berlin realisiert, wohin das Bauhaus-Archiv 1971 umzog. Es beherbergt heute die weltweit größte Bauhaus-Sammlung und wird bald durch einen Erweiterungsbau vergrößert. Leider nicht in Darmstadt auf der Rosenhöhe, sondern in Berlin am Tiergarten.
Künstler-Handwerker-Fusion
Das Staatliche Bauhaus, das zwischen 1919 und 1933 bestand, wurde von Walter Gropius in Weimar als Kunstschule gegründet. In dieser als Arbeitsgemeinschaft begriffenen Institution wurde die Unterscheidung zwischen Künstler und Handwerker aufgehoben, was damals etwas völlig Neues war. Die Mitarbeiter wollten damit auch gesellschaftliche Unterschiede beseitigen und zum Verständnis zwischen den Völkern beitragen, womit sie in Intention und Ergebnissen dem 1907 gegründeten Deutschen Werkbund ähnelten. Nach Gropius wurde der Schweizer Architekt Hannes Meyer Direktor, der die Zusammenarbeit mit der Industrie intensivierte und die Architektur mehr in den Mittelpunkt rückte. Ab 1930 leitete der Architekt Mies van der Rohe das Bauhaus in Dessau, das als einflussreichste Bildungsstätte im Bereich der Architektur, der Kunst und des Designs im 20. Jahrhundert sowie weltweit als Heimstätte der Avantgarde der Klassischen Moderne gilt. 1931 gewann die NSDAP die Gemeindewahl in Dessau und setzte 1932 die Schließung des Staatlichen Bauhauses durch. Daraufhin zog das Bauhaus nach Berlin um, wurde dort aber schon 1933 von den Nationalsozialisten durch Repressalien wie Hausdurchsuchungen, Versiegelung der Räume und Verhaftung von Studenten endgültig zur Selbstauflösung gezwungen. Viele Bauhaus-Mitglieder emigrierten und trugen so zur internationalen Verbreitung der Ideen des Bauhauses bei.
Bauhaus-Ausstellungen 2019 in Darmstadt
Galerie Netuschil: „Meteor, Ikone und Vergitterung“ (Hommage an den Bauhaus-Künstler Leo Grewenig mit dessen Malerei der 1960er-Jahre) noch bis 16. März 2019, www.galerie-netuschil.net
Kunst Archiv Darmstadt: „Gertrud und Alfred Arndt. Zwei Bauhaus-Künstler in Darmstadt“ (höchst selten gezeigte Bilder von 1925 bis in die Nachkriegszeit, Öl- und Temperabilder, Werke aus Farbe, Kohle, Bleistift und Tusche sowie Lichtdrucke von Alfred Arndt, dazu Bauhaus-Fotografien, Porträts und Selbstporträts von Gertrud Arndt), noch bis 29. März 2019, www.kunstarchivdarmstadt.de
Hessisches Landesmuseum (Grafische Sammlung): „bauhausPositionen“ (60 Exponate aus dem Bestand des Museums, im Zentrum: die „Meistermappe des Staatlichen Bauhauses 1923“, ein Schlüsselwerk der europäischen Druckgrafik mit Arbeiten von Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Gerhard Marcks, Georg Muche, László Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer und Lothar Schreyer), vom 11. April bis 14. Juli 2019, www.hlmd.de
Georg-Büchner-Platz/Staatstheater-Arkaden: „BAUWHAT?“ (Summerschool von DIESE Studio und Hochschule Darmstadt), ab Mitte Juni, www.bauwhat.de
Kunsthalle Darmstadt: „Bauhaus und die Fotografie – Zum Neuen Sehen in der Gegenwartskunst“ (Fotografien des Neuen Sehens in einem Dialog mit zeitgenössischen Künstler*innen), vom 29. September 2019 bis 05. Januar 2020, www.kunsthalle-darmstadt.de
Hochschule Darmstadt, Fachbereich Gestaltung: unter anderem ein Symposium zum Thema Bauhaus, am Samstag, 19. Oktober 2019, www.fbg.h-da.de
Institut für Neue Technische Form: Wilhelm-Wagenfeld-Ausstellung (aus der Michael-Schneider-Sammlung; Industrieformen aus mehreren Jahrzehnten: Glas und Porzellan, Tischgerät und Leuchten), im Herbst 2019, www.intef.de
Bauhäusler-Zitate über das Bauhaus und über sich selbst:
Otti Berger: „Um ein Künstler zu werden, muss man ein Künstler sein, und um es zu werden, wenn man es schon ist, dazu kommt man an das Bauhaus; und aus diesem „Künstler“ wieder einen Menschen zu machen, das ist die Aufgabe des Bauhauses.“
Hubert Hoffmann: „Um (der) starken Idee willen ging ich ans Bauhaus – obgleich ich nicht wusste, worin sie bestand. Ich ging mit der Absicht hin, probeweise das erste Semester zu durchgehen, da ich fürchtete, dieselben Enttäuschungen zu erleben wie an anderen Kunstschulen … Ich sehe das Wertvolle im Bauhaus mehr in dem Willen, weiter etwas zu schaffen, als in dem tatsächlich Geschaffenen – in der Beeinflussung der Umwelt durch diesen Willen. Vor allem auch in der Atmosphäre des Bauhauses, die ein unabhängiges Arbeiten wie nirgends sonst ermöglicht.“
aus: Das Bauhaus – 1919 bis 1933 Weimar Dessau Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937 von Hans M. Wingler, Verlag Gebr. Rasch & Co. und M.DuMont Schauberg, 3. Auflage 1975, Seite 497