Wenn des Nachts in der Gründerzeitvilla die etwas morsche Holztreppe ächzt, das Licht schummrig flackert und ein zarter, leicht modriger Windhauch durch die Stockwerke säuselt, dann ist der Hausgeist wieder unterwegs. Und der lässt auch schon mal jemanden verschwinden. So zumindest die schöne Märe, mit der Konzertveranstalter Markus Hoffmann in der Oetinger Villa nächtigende Künstler immer wieder zu verschrecken vermag. Manch angetrunkener Musiker, der den Weg von der Toilette zurück zum Schlafraum nicht mehr fand, verbrachte daraufhin die dunklen Stunden wimmernd auf dem Klo. Angeblich.
Imposant thront die Oetinger Villa verborgen zwischen Kranichsteiner Straße und dem Studentenwohnheim Karlshof. Umrandet von einem kleinen Park ruht sie dort wie ein gewaltiger Monolith. Wirklich ruhig ist es allerdings selten, denn in der Villa wuselt kreatives Leben.
Ein Blick zurück. Im Jahre 1898 wurde die Oetinger Villa auf dem Gelände des Karlshofes erbaut. Bauherr war August Josef Ludwig Freiherr von Oetinger. Von jener Zeit an bis in die 1960er Jahre war das Gebiet vom Spessartring über den Bürgerpark bis zu den Bahnschienen in Kranichstein kein Wohngebiet, sondern weitgehend landwirtschaftlich genutztes Areal. Die Villa selbst galt als Gutshaus, in der die Familie Oetinger zeitweise lebte. Im November 1960 vererbten die Töchter des Bauherrn die Villa an die Stadt Darmstadt. Danach wurde das Gebäude partiell als Institut für biologische Schädlingsbekämpfung genutzt, bevor im Oktober 1970 die „Initiativgruppe Wohnen“ die oberen Stockwerke besetzte. Wohl Schädlinge im Sinne der Stadtoberen, denn zwei Jahre später wurde das Projekt nach einem heftigen Häuserkampf von der Polizei geräumt. Um den Konflikt etwas zu entschärfen, beschloss die Stadt, die Villa künftig als offenes Jugendzentrum zu nutzen.
Es mangelte nie an Aufregung in und um die Oetinger Villa. Da flogen schon mal Fäuste, wenn ungleiche Meinungen aufeinanderprallten. Das zeugt von der Lebendigkeit und Leidenschaft, mit der in und um dieses überregional wahrgenommene Kulturzentrum gekämpft wird. Meist herrsch(t)en aber akkurate Töne vor. Im Jahre 1991 übernahm der Trägerverein „Jugend- und Kulturzentrum Oetinger Villa“ die kulturelle Arbeit. Zahlreiche Gruppierungen mit politischer oder künstlerischer Ausrichtung fanden seitdem in der Gründerzeitvilla ein Domizil. Die ehrenamtliche Organisation von Musikveranstaltungen wurde ein wichtiger Aspekt. „Es dürften mittlerweile mehr als tausend Konzerte sein“, schätzt Markus Hoffmann, einer der derzeitigen Veranstalter und selbst seit 1996 aktiv. Wohl an keinem Ort in Darmstadt gab es über die Jahre mehr lokale wie internationale Bands und Künstler zu bewundern. Genre-Grenzen gibt es keine. Eine charmante Vielfalt, bei der gerne auch mal Extreme ausgelotet werden. Und nicht wenige Bands – als Beispiel Tomte oder Boysetsfire – machten erst „in der Villa“ Station, bevor sie in großen Hallen aufspielten.
Vor zwei Jahren stand die Oetinger Villa im Fokus der Lokalpolitik. „Polen-Institut vs. Jugend-Kulturzentrum“ lautete verkürzt die Debatte. Letztlich waren es aber nur die Eitelkeiten einiger weniger Politiker, die diesen Konflikt zwischen zwei Einrichtungen, jede für sich sinnvoll, heraufbeschworen hatten. Erst eine starke Protestwelle, der Wechsel im Amt des Oberbürgermeisters und parteiübergreifende Vernunft führten zum Kompromiss mit einem längerfristigen Nutzungsrecht für das Kulturzentrum. Der Slogan „Villa bleibt“ war damals allerorts zu vernehmen. Er scheint gewirkt zu haben.