Fotos: Nouki Ehlers, nouki.co

Sie sind das Salz in der Suppe: die torgefährlichen Spieler, die dafür sorgen, dass Spiele gewonnen werden. In den letzten zehn Jahren bedienten sich die 98er immer wieder im Ausland, wenn es um die Verpflichtung von Angreifern ging. Mit großen Erwartungen geholt, folgte dann nur ein ebenso enttäuschendes wie kurzzeitiges Engagement in Heinertown. Dem neuen Sportlichen Leiter, Paul Fernie, wird ebenfalls nachgesagt, gerne Spieler aus ausländischen Ligen zu holen. Bei Stürmern wird er definitiv ein besseres Händchen benötigen als seine Vorgänger.

Der SV Darmstadt 98 auf Bundesligafahrt. Das wird wie schon 1978/79 und 1981/82 auch in der jetzt zu Ende gehenden Saison eine einjährige Angelegenheit bleiben. Gründe gibt es viele. Unter anderem die Torausbeute. Sowohl bei der Anzahl der Torgelegenheiten wie bei der Chancenverwertung rangieren die Lilien unter den schwächsten Teams. Neben Tim Skarke verdiente sich kaum ein Spieler das Prädikat „torgefährlich“. Im Frühjahr schien aber einer endlich in die Spur gefunden zu haben: Oscar Vilhelmsson. Der immer noch erst 20-jährige Schwede kam bei der Auswärtspartie in Leipzig immer besser ins Spiel. Traf gegen Bayern am Bölle erst fulminant die Latte und später ins Tor, nur um gegen Bochum nachzulegen. Dass er zwischendurch für die schwedische U21 viermal in zwei Partien traf, unterstrich seine aufsteigende Form.

Vilhelmsson benötigt Anlaufzeit

Doch Vilhelmsson hatte auch ordentlich mit Rückschlägen zu kämpfen. In seiner ersten Spielzeit 2022/23 war er einzig im Monat Februar verletzungsfrei geblieben und zu Beginn dieser Saison setzte ihn eine Erkrankung länger außer Gefecht. Zudem darf man nicht vergessen, dass der junge Schwede bei IFK Göteborg gerade einmal ein knappes Jahr lang Erstligaluft schnuppern durfte, bevor er nach Darmstadt wechselte. Er war mithin so etwas wie eine Wette auf die Zukunft. Denn heutzutage ist es doch so: Wer einen jungen Spieler holt, in Vilhelmssons Fall für etwa 1,5 Millionen Euro, der setzt darauf, dass dieser sich so entwickelt, wie es seine Anlagen andeuten, nur um ihn dann für deutlich mehr Ablöse zu verkaufen. Was dabei oft übersehen wird: Mit gerade einmal vier Erstligatreffern bei 28 Einsätzen hatte Vilhelmsson auch in Schweden keine eingebaute Torgarantie. Immerhin zeigt er inzwischen auf der Bundesligabühne, dass er sich nicht unterkriegen lassen will, dass er im Kopfballspiel hinten wie vorne präsenter ist, und dass er besser ins Kombinationsspiel findet.

Hornby und das Verletzungspech

Wer weiß, wie es seinem Sturmpartner Fraser Hornby ergangen wäre, wäre dieser nicht dauerverletzt. Gerade einmal ein Startelf-Einsatz und 212 Spielminuten stehen für ihn zu Buche. Torbeteiligungen: null. Der Schotte, der als Anwärter auf die Nachfolge von Phillip Tietz galt, blickt auf ein verlorenes Jahr zurück. Mit großen Erwartungen geholt, war er nie vollständig fit, um zu zeigen, was er dem Spiel der 98er geben kann. Es bleibt zu hoffen, dass die nächste Saison besser verläuft. Andernfalls würde er sich in eine ganze Reihe von Stürmerkollegen aus dem Ausland einreihen, die bei den Lilien überhaupt keinen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.

Obinna, Oliynyk, Bezjak, Maclaren, Ozegovic, …

Denn Beispiele gibt es zuhauf. Da reicht ein Blick auf die Transfers seit der Rückkehr in den Profifußball 2012. Namen gefällig? Bitte sehr! Kann sich noch jemand an Freddy Borg erinnern? Der Schwede kam zu Jahresbeginn 2013 nach Darmstadt. Die Lilien benötigten in akuter Abstiegsnot einen treffsicheren Angreifer, um die Rückkehr in die Bedeutungslosigkeit der 4. Liga abzuwenden. Der kahlköpfige Stürmer hatte zwar zuvor in Rostock und Aachen jeweils ein halbes Jahr den deutschen Fußball kennengelernt, kam bei den Lilien aber gar nicht zurecht. In 14 Partien erzielte er kein einziges Tor. Sein Deutschland-Kapitel war damit beendet und er wechselte nach Aserbaidschan. Ihm folgten in den nächsten Jahren Victor Obinna (mit etwas Deutschland-Erfahrung in Duisburg), Denys Oliynyk, Roman Bezjak, Jamie Maclaren, Ognjen Ozegovic, Filip Stojilkovic und Magnus Warming. Die acht Angreifer kamen beim SVD zusammen auf gerade einmal 92 Einsätze bei 7 Torbeteiligungen. Die durchschnittliche Einsatzzeit betrug magere 440 Minuten, weshalb sich die Wege rasch wieder trennten. Blöd dann nur, wenn für Bezjak, Ozegovic und Stojilkovic summa summarum kolportierte 4,4 Millionen Euro Ablöse fällig waren.

Die harte Währung der Stürmer: Tore

Nun lässt sich trefflich spekulieren, woran es lag, dass sie alle nicht durchstarteten. Betrachtet man die anschließenden Karrierestationen der Spieler, scheinen sie doch nicht (mehr) über die Qualität verfügt zu haben, die man ihnen zugesprochen hatte. Vereinzelt taten Verletzungen ihr Übriges. Zu Stojilkovic und Warming sind die Eindrücke am frischesten. Stojilkovic deutete seine Qualitäten an, scheint sich aber in einem besseren Licht zu sehen als die Verantwortlichen bei den Lilien. Selbst in Kaiserslautern zählt er aktuell nur als Ergänzungsspieler. Der Däne Warming wirkte bei all seinen Kurzeinsätzen bis zum Schluss wie ein Fremdkörper im Spiel der 98er. Nicht zu unterschätzen sind bei alledem die Begleiterscheinungen. Die Spieler kommen in ein neues Land, dessen Sprache sie oft nicht beherrschen. Was sich auf dem Platz mit einfachen Kommandos lösen lässt, wird im Alltag schon schwieriger. Wer sich aber womöglich nicht wohl fühlt, ist wohl kaum in der Lage, seine Bestform abzurufen. Auch an das Level der Bundesligen muss man sich erst gewöhnen, wenn man aus Kroatien, Serbien, den Niederlanden oder Australien geholt wird. Und als Stürmer zählen primär Tore. Wenn die ausbleiben, wird der Daumen schnell gesenkt.

Nur gewisse Stürmer treffen zweistellig

Klar, es gibt auch genügend deutsche Offensivspieler, die bei den Lilien so überhaupt nicht zünden wollten. Die Quote der oben angeführten Angreifer aus dem Ausland, die liest sich dennoch völlig ernüchternd. Ein Volltreffer oder Leistungsträger war jedenfalls nicht darunter. Im letzten Jahrzehnt trafen nur Dominik Stroh-Engel, Sandro Wagner, Tobi Kempe, Serdar Dursun, Phillip Tietz und (zumindest in Liga 2) Luca Pfeiffer zweistellig. Sie alle kamen von Konkurrenten aus Deutschland. Einzig Pfeiffer wurde 2022 aus dem Ausland zurückgeholt. Die Krux ist: Sehr gute Angreifer sind rar und teuer. Der Blick ins Ausland naheliegend. Es bleibt deshalb spannend, wie die 98er mit ihrem neuen Sportlichen Leiter Paul Fernie in der kommenden Transferperiode agieren werden.

Erstliga-Ausklang

Sa, 4.5., 15.30 Uhr: VfL Wolfsburg – SV Darmstadt 98

So, 12.5., 15.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – TSG Hoffenheim

Sa, 18.5., 15.30 Uhr: Borussia Dortmund – SV Darmstadt 98

sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog