Recording, Mixing und Mastering: Tonstudios sind wesentlicher Bestandteil der Musikbranche und unabdingbar für eine Kulturszene, die über Proberaumaufnahmen hinausgehen möchte. In der Artikelserie „Klangspuren“ stellen wir Euch regelmäßig ein Darmstädter Tonstudio vor – denn davon gibt es in unserer Stadt eine ganze Menge. Folge 3 dreht sich um ein bekanntes Gesicht der regionalen Musikszene: René Hofmann singt und spielt in den Darmstädter Bands Wight (Psychedelic Rock), Glanville (Heavy Metal) und The Bad Sugar Rush (Blues Rock) und er arbeitet als Tontechniker im Schlachthof Wiesbaden, in der Centralstation Darmstadt sowie im Das Rind Rüsselsheim. Mit seiner Musikproduktionsfirma Fat & Holy Records ist er Teil des Wasted Life Studios, einem Zusammenschluss von kreativen Selbstständigen im Darmstädter Johannesviertel.
Viele werden sich noch daran erinnern, als Ende 2011 der beliebte Darmstädter Club 603qm schloss (um später als 806qm wiederzukommen). René Hofmann, der gerade seinen Bachelor in Digitale Medien gemacht hatte, verlor durch die Schließung seinen damaligen Job als Gastro- und Technikmitarbeiter. Studium abgeschlossen, Job gekündigt und Hartz IV – wie sollte es also weitergehen?
Seit 2010 in der Szene aktiv
Schon seit 2010 veranstaltete René mit seinem Kumpel Henz in der Oetinger Villa eine Konzertreihe und betrieb dazu ein Kassettenlabel – beides unter dem Namen Fat & Holy. In Kombination mit seiner 2008 gegründeten Band Wight entstand ein Netzwerk aus Musiker:innen, aus dem langsam erste Tontechnikaufträge hervorgingen. „Ich habe damals viel von Darmstädter Tontechnikern auf Veranstaltungen gelernt und wurde dann auch selbst als Livetontechniker angefragt oder bin zu Bands in ihre Proberäume gefahren, um dort aufzunehmen“, erzählt Hofmann. Auch bei Lui Hill („Klangspuren“-Folge 2) habe er gelegentlich aufgenommen. „Gemischt habe ich dann alles hier im Wasted Life Studio.“ Als selbstständiger Grafiker war er bereits Teil des Kollektivs und saß in einem gemeinsamen Büroraum, doch wurde er 2012 schließlich voll aufgenommen und fing an, den Nebenraum zu einem Tonstudio auszubauen.
Orientiert am alten Fachwerkbau
Das ehemalige Ölfasslager war ein altes Fachwerk mit Backsteinen und einem Bretterverschlag. „Früher konnte man hier ins untere Stockwerk runtergucken“, erinnert sich Hofmann. „Wir haben dann einen zweiten Boden inklusive Trittschall reingezogen, die Decke mit Alu-Profilen abgehängt und die Fachwerkwände mit Holzgestell, Steinwolle, Spanplatte und Rigips verputzt“. Über die Jahre entstand so neben dem Büroraum und der gemeinschaftlichen Wohnküche auch ein soundoptimierter Studioraum fürs Recording – orientiert am alten Fachwerkbau, wie Hofmann erklärt: „Es gibt hier keine geraden, parallel zueinander verlaufenden Wände. Das ist total geil für die Akustik.“
Tontechnik als Feinstarbeit
Und die ist René besonders wichtig. Während andere Tontechniker:innen mitunter viel finanzielle und zeitliche Ressourcen in Mikrofone oder Outboards stecken, fokussiert er sich auf das, „was den Sound erzeugt“. Der Klang werde vor dem Mikrofon gemacht. „Ich bau‘ lieber fünf Stunden das Schlagzeug auf und stimme es ewig. Denn wenn ich dann das Mikrofon davor mache, klingt es geil und es ist fertig“, erklärt er. Mit mobilen Trennwänden könne er das Studio außerdem so anpassen, dass wirklich keine Aufnahme auf andere Mikrofone überspreche. Eine Besonderheit sei dabei der gute Kopfhörersound, den die Musiker:innen während des Spielens im Studio hätten und mit ihren Handys oder Tablets steuern können – etwa nach Instrumenten, die sie gerade auf den Ohren haben möchten.
Orgeln, Congas und Bongos
Davon gibt es eine ganze Menge in dem Aufnahmeraum: Neben dem Schlagzeug etwa diverse Orgeln, Synthesizer und Pianos wie einen Moog Sub Phatty Synthesizer, einem ARP Odyssey Synthesizer oder einer Hammondorgel sowie Percussioninstrumente wie Congas und Bongos. Für Gitarren- und Bassverstärker ist außerdem eine eigene kleine Kammer eingerichtet. „So ein Amp klingt halt vor allem gut, wenn du ihn richtig laut machst“, weiß Hofmann. „Außerdem ist hier drin ein extra trockener Sound ohne viel Reflexion.“ Erzeugt von AC30, Peavey 5150, Mesa Boogie Studio 22, Linnemann 45W Plexi Clone und Roland Jazz Chorus – um nur einige seiner Verstärker zu nennen.
„Ein bisschen knusprig und vintage: Wenn du Rockmusik machst, ist das genau das, was du willst.“
Zurück zum Kopfhörersound. Möglich macht das Steuern über die Kopfhörer ein Netzwerk, das alle Instrumente in dem Raum miteinander verbindet. Basierend auf dem Netzwerkprotokoll „Dante“ führt es die Liveaufnahmen in das analoge Mischpult des Studioraums und digitalisiert sie. „Man kann sich das so vorstellen, dass alle Geräte miteinander verkabelt sind und in einem Switch zusammenlaufen“, erklärt Hofmann. „Dort stellst du quasi die ‚Weichen‘ ein, je nachdem, wie du es willst. Über ein Patchfeld kannst du dann die Geräte individuell steuern.“ Das Umwandeln von analogen, elektronischen Signalen der Instrumente in digitale Einsen und Nullen gehe dabei extrem schnell – schneller als der eigentliche Schall im Studio. Durch das digitale Netzwerk ergibt sich unter anderem mit den vielen Effekten, die man virtuell verkabeln kann, eine Unmenge an Möglichkeiten fürs Musizieren und Aufnehmen. Doch den eigentlichen Klangcharakter des Studios mache das Mischpult aus, betont Hofmann. „Ich sage immer: Die ganzen Vorverstärker, die darin verbaut sind, geben einen gewissen ‚Flugrost‘ mit. Der Sound wird ein bisschen knusprig und vintage. Wenn du Rockmusik machst, ist das genau das, was du willst.“ Und wenn jemand ein anderes Aufnahmeprogramm oder Betriebssystem bevorzugt? „Kein Problem“, meint Hofmann, „dann bring‘ einfach Deinen eigenen Computer mit und schließ Dich ans Netzwerk an.“
Ganzkörperliches Zusammenspiel
Doch nicht nur das Aufeinanderhören ist beim Musizieren wichtig. Auch auf das Gefühl kommt es an. „Wenn Bassisten einen großen Amp haben, bewegt sich dabei viel Luft. Das spürt man und ist total schön“, schwärmt René. Über Kopfhörer würde davon aber ein gewisser Teil verloren gehen. Genau dafür gibt es im Studio ein Subwoofer-Board, auf das sich Musiker:innen beim Spielen stellen können. Wenn man darauf etwa den Bass oder die Kick Drum des Schlagzeugs schaltet, fängt das Board an, gleichmäßig zum entsprechenden Instrument zu vibrieren. Als Ergebnis verbessert sich durch das ganzkörperliche Spüren das Zusammenspiel. „Man spielt dadurch obertight. Du gewinnst quasi das Physische zurück“, fasst Hofmann zusammen. Eine ähnliche Vorrichtung sei auch im Schlagzeugstuhl verbaut.
Musizieren ist nonverbale Kommunikation
Und genau das sei der Schwerpunkt von Fat & Holy: „Die Performance und das Miteinander beim Spielen einzufangen, geht über jede Audioqualität“, so Hofmann. Die Beatles hätten schließlich auch lebendig geklungen, wenn sie zu viert um ein Mikrofon standen. Anstatt dass in Hofmanns Studio jedes Bandmitglied einzeln versucht, den technisch besten Take für einen Song einzuspielen, nehme er meistens Live-Aufnahmen mit allen Musiker:innen zusammen auf. „Musizieren ist eine Unterhaltung – eine nonverbale Kommunikation“, philosophiert René. „Man geht aufeinander ein, es geht um Rhythmus und Micro Timing. Wenn du ein Bandmitglied austauschst, dann verändert sich die komplette Gruppendynamik.“ Moderne Rock- oder Metalmusik langweile ihn oft, wenn auf digitalen Verstärkern und mit Backing Tracks gar nicht mehr richtig miteinander gespielt werde. Gerade Gesang und Schlagzeug steuerten nämlich als akustische Teile der Band einen Song, weiß Hofmann: „Die Performance eines Schlagzeugers im Studio ist etwas ganz anderes, wenn der seine Band um sich herum hat, die mit ihm zockt. Ich will gar nicht, dass der allein und konzentriert alles total sauber einspielt. Ich will etwas spüren. Ich will hören, dass der Bock hat. Genauso hörst du beim Gesang auch, ob die Person vor dem Mikrofon lächelt oder nicht.“
Offen für Ideen
Diese menschlichen Interaktionen seien das Besondere für ihn beim Aufnehmen. Etwa wenn innerhalb der Band verschiedene Vorstellungen eines Songs existieren und die Kommunikation untereinander nicht gut funktioniere. „Oft bin ich hier eigentlich ein Psychologe“, schließt Hofmann. „Und wenn ich es schaffe, dass sich alle öffnen, ist das für mich das Allerschönste.“ Es gäbe Produktionen, da wisse er zwar, dass er sie perfekt aufnehmen kann, jemand anderes aber mischen sollte. Und auch das Mastering gebe er oft an andere weiter; etwa an seinen Wasted-Life-Studio-Kollegen Steve, der bereits seit über 20 Jahren Teil des Kollektivs ist. Doch seine Stärke sieht René in der Produktionsarbeit mit den Musiker:innen direkt. „Songwriting, Songarrangement, die beste Performance einfangen, Ideen verwirklichen, Ideen überhaupt erst entwickeln und die Leute für Ideen zu öffnen“, fasst er zusammen.
Zwei Gästezimmer mit Küche und Bad
Nicht zuletzt deswegen sei es wichtig, dass sich beim Aufnehmen jede:r in der Band wohlfühle. Inzwischen könne er Bands, die zum Recorden von weiter weg anreisen, auch zwei Gästezimmer mit Küche und Bad außerhalb des Studiogebäudes anbieten. Das Studio selbst sei eigentlich für alle, die es betreten, nur zur Bedürfnisbefriedigung da; eine Spielwiese zum Ausprobieren, in der immer alles aufgebaut und direkt verfügbar sei. „Wir wollen kein Dienstleistungsstudio sein. Im Internet findest du auch so gut wie keine Informationen über das Wasted Life Studio. Um uns zu finden, musst du in unserem Dunstkreis sein“, stellt er klar.
Dieser Dunstkreis kommt durch persönliche Kontakte zustande, etwa auf Konzerten. Bands, die zuletzt bei Fat & Holy aufgenommen haben, sind beispielsweise Cliffsight (Stoner Rock aus Hanau), Dirty Sound Magnet (Psychedelic Rock aus der Schweiz) oder Latex (Post Punk aus Darmstadt, unter anderem mit Johanna Amberg, die mit ihren Musikvideoprojekten ebenfalls Teil des Wasted Life Studio ist). Darüber hinaus entstanden hier Aufnahmen von Lucid Void, Galactic Superlords, 24/7 Diva Heaven und natürlich Wight.
Sind also verschiedene Spielarten des Rock der Sound von Fat & Holy Records? Klar, René Hofmann wurde mit Rockmusik sozialisiert und nicht ohne Grund „stehen hier viele Amps rum“. Doch letzten Endes gehe es ihm vor allem um eins: um handgemachte Musik.
Klangspuren-Steckbrief
Wer? René Hofmann
Fokus? Recording, Live-Aufnahmen mit Performance einfangen
Besonderheiten? Subwoofer-Board, zwei Gästezimmer verfügbar, Akustik
Wen aufgenommen? unter anderem 24/7 Diva Heaven, Wight, Dirty Sound Magnet und Galactic Superlords
Kontakt und Website? fatandholy@gmail.com und fatandholy.com