Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Es ist der Fluch eines jeden DJs, selbst immer älter zu werden, während die Tanzenden immer jünger werden. Hinzu kommt eine Potenzierung dieses Phänomens je nachdem, wo man in Darmstadt auflegt. Nach dieser Formel (normaler Alterungsprozess + DJ + Schlosskeller [1]) altere ich jährlich zwei Jahre schneller als der „normale“ Darmstädter.

Im Schlosskeller wird das Publikum von Semester zu Semester immer jünger und hipper und die treuen und gleichaltrigen Begleiter schwinden über die Jahre, heiraten, bekommen Kinder und lassen sich nur noch selten blicken und auch nur, wenn sie kürzlich wieder Single geworden sind. Meist ernte ich von Bekannten mitleidige Blicke: „Du legst am Freitag auf, gell? Also ich kann nicht, wir machen gemütlich.“

Noch vor ein paar Jahren kannte ich gefühlte fünfzig Prozent des nächtlichen Publikums mit Namen, doch jetzt kenne ich nicht mal mehr die Angestellten in dem Club, in dem ich seit Jahren auflege. Nach meinen Berechnungen wird also die Luft ziemlich dünn. Klar, es gibt in Darmstadt schon viele DJs, bei denen aus Sicht der Musikindustrie das Verfallsdatum erreicht oder gar überschritten scheint, die aber trotzdem stets sehr gute Leistungen abliefern. Doch in meinem Fall kommt noch ungünstigerweise hinzu: Das sind (bis auf wenige Ausnahmen) alles Männer! Und ich bin eine Frau, verdammt! Vielleicht sollte ich bald im Hillstreet Club [2] anheuern, denn dort ginge das Auflegen (auch als Frau) bis ins hohe Rentenalter. Sobald man dort auflegt, ändert sich die eigene Alterungsformel: Alterungsprozess + DJ + Hillstreet Club bedeutet dann, dass man ganz normal mit Gleichaltrigen altert. Es gibt lebende Beweise. [3]

Doch ich bleibe vorerst optimistisch. Der beobachtete nächtliche demographische Wandel ist gleichzeitig ein sehr gutes Zeichen. Die Studenten und Party-People mögen uns nach wie vor. Es ist ein Beweis dafür, dass wir weitermachen können und immer wieder junge rosige Gesichter bei unseren Gigs auftauchen werden. Es ist ein Fehler zu denken, man könne die alten Sympathisanten über Jahre halten. Neuankömmlinge begeistern zu können, ist ein wunderbares Gefühl. Mit dem Wechsel des Publikums kommt Bewegung ins Spiel und der frische Wind treibt uns an, noch ein paar Jahre durchzuhalten.

Wenn ich es mir nun recht überlege und einen Handstand mache, um die Dinge auf den Kopf zu stellen – macht mich mein heutiger Montagsgedanke wieder um einige Jahre jünger: Alterungsprozess + DJ + Schlosskeller – Montagsgedanke = 28.

Ihr lest den Montagsgedanken: Tagebuch eines DJs. Mein Name ist Doris Vöglin.

 

[1] Der Schlosskeller ist ein autonomes Gewerbe des AStA der TU Darmstadt. Das erklärte Ziel ist es, kulturelle und politische Veranstaltungen, Konzerte, Partys und Clubabende zu studentenfreundlichen Preisen zu ermöglichen. Demzufolge zieht der Schlosskeller ein jung-studentisches, alternativ-hippes Publikum an. Einige Physik- und Geschichtsstudenten bilden hierbei die Ausnahme.

[2] Der Hillstreet Club versteht sich als klassische American Bar, mit Cocktails, puristisch und zeitlosem Interieur (was natürlich auch für die DJs gilt) mit unaufdringlichem Service (für Clubmitglieder). Der wochenendliche musikalische Rahmen wird von wohlbekannten und kultigen DJs gestemmt, die alle zeitlosen Musikgenres bedienen.

[3] Vergleiche auch:

Alterungsprozess + DJ + „Level 6“ = +3

Alterungsprozess + DJ + „Krone“ = DJ Kai

Alterungsprozess + DJ + „A5“ = Alzheimer und Rollstuhl mit 40

 

Wer ist eigentlich Doris?

Doris Vöglin ist die eine Hälfte des DJ-Duos „DontCanDJ“ – bekannt aus Schlosskeller („Elektroschule“), 603qm und Centralstation. Seit einiger Zeit schreibt sie ihre „Montagsgedanken“ für den Blog www.bedroomdisco.de nieder. Seit November 2012 erscheint ihre Kolumne auch im P.

www.facebook.com/DontCanDJ