Foto: Jan Nouki Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Darmstadt ein Eldorado der Elektronik? Zumindest wuchsen hier einige Talente auf, die es zu Weltruhm brachten. Ricardo Villalobos zum Beispiel. Oder eben Roman Flügel. Googelt man seinen Namen, erscheinen „ungefähr 387.000 Ergebnisse“. Damit dürfte er weltweit wohl einer der prominentesten Darmstädter sein, auch wenn in seiner Heimatstadt selbst ihn vielleicht nicht jeder kennt. Das liegt am Segment, obwohl er in diesem quasi in der Champions League spielt. Roman ist DJ und Produzent – oft zusammen mit Jörn Elling Wuttke (auch ein gebürtiger Darmstädter) als Acid Jesus, Sensorama oder Alter Ego. Romans Karriere wurde in der Fachpresse schon bis ins kleinste Detail seziert, auch im Zusammenhang mit seinem diesjährigen Solo-Album „Fatty Folders“. Zeit daher für ein Gespräch – insbesondere über seine Zeit in Darmstadt und die Anfänge einer Weltkarriere.


P: Ich zähle sieben Künstlernamen und neun Projektnamen, unter denen Du beim Infoportal discogs.com in der Elektronik-Welt auftauchst. Willst Du uns verwirren?

Roman: Es war lange Zeit üblich, dass sich Produzenten viele Namen gaben, weil noch nicht klar war, wo sie stilistisch hinwollten. Bei mir und Jörn war das ähnlich. Vieles waren nur einmalige Experimente. Außerdem klopften immer andere Labels an für neue Platten. Das wollten wir namentlich klar trennen.

Jetzt erscheint erstmals eine Platte unter Deinem wirklichen Namen beim Hamburger Label Dial Records und nicht Wenige in der Presse sprechen schon vom „Album des Jahres“. Läuft also ganz gut zurzeit?

[lächelt]: Kann wirklich nicht klagen. Die Resonanz ist ziemlich erfreulich. Ich wollte schon immer bei Dial veröffentlichen, da ich deren Musik und den Umgang mit Artwork und Kunst extrem spannend finde.

Dein Album klingt sehr harmonisch, ästhetisch und fast schon entschleunigt. Ein bewusster Gegenentwurf zum grassierenden Tempo-Rave?

Vielleicht. Es gibt wohl wieder einen Trend weg vom sehr aufdringlichen Elektro-Wumms. Jörn und ich hatten mit dem Stück „Rocker“ [Alter Ego im Jahr 2005, Anm. d. Red.] ja selbst großen Erfolg mit diesem härteren Sound. Aber wir wurden dann oft nur noch darauf reduziert, obwohl wir schon als Sensorama oder solo ganz andere Klangfarben produziert hatten.

Kommen wir zu Darmstadt. Du bist gebürtiger Heiner?

Genau. Mein Lebensmittelpunkt liegt seit einigen Jahren in Frankfurt, geboren wurde ich aber hier im Marienhospital im Mai 1970. Und ich durchlief drei Darmstädter Gymnasien: Lichtenbergschule, Marienhöhe und letztlich das Abi auf der Georg-Büchner-Schule.

Drei Gymnasien, was war da los? Schon zu viel rumgegroovt auf Partys?

[verlegen] Das wird schon seine Gründe gehabt haben.

Wann kamst Du erstmals in Berührung mit Musik?

Meine Eltern hörten viel Klassik und Jazz. Als Kind spielte ich Klavier. Das prägte mich schon früh. Mein Onkel und mein Bruder waren aber entscheidend. Mein Onkel besaß viel musikalisches Equipment und schenkte mir ein Schlagzeug. Ich spielte dann schon als Zwölfjähriger in einer Band. Wir versuchten uns an Funk … [räuspert sich] … mit eher zweifelhaftem Erfolg. Ende der 1980er spielte ich auch mit bekannteren Darmstädter Musikern wie Steffen Stütz und Tobias Seitz so eine Art vertrackten Jazz-Funk. Da war ich aber schon zu sehr mit Techno und House infiziert und stieg bald aus.

Und wann wurdest Du mit Techno und House infiziert?

Mein Bruder pilgerte schon in den frühen 1980ern ins Dorian Gray [legendärer Club, damals ansässig im Terminal 1 des Frankfurter Flughafen, Anm. d. Red.]. Noch bevor Techno und House aufkam, gab es dort elektronische Musik. Mein Bruder brachte immer Mixtapes mit, die mich schon als Kind faszinierten. 1987 schenkte er mir dann eine Acidhouse-Compilation vom Label Chicago-Traxx mit Sachen von Phuture, Rhythm is Rhythm, Adonis und so. Da war es endgültig um mich geschehen. Und als 1988 das Omen [früherer Club von DJ-Legende Sven Väth. Keimzelle des frühen Frankfurt-Techno, Anm.d. Red.] in einem mittlerweile abgerissenen Parkhaus in der Frankfurter Innenstadt öffnete, stand ich schon vor der Tür parat. Da hörte ich die ersten Sachen von legendären Labels wie Underground Resistance aus Detroit und Warp Records aus Sheffield.

Wann begann die eigene Karriere?

Jörn Wuttke lernte ich 1989 in der „Goldenen Krone“ kennen. Ich hatte gehört, dass er ein Aufnahmestudio in der Garage seines Opas hatte. Ich selbst nahm damals mit Vierspur-Kassettenrecorder, Synthesizer und Drummachine so eine Art Acidhouse auf. Oben in der Rocky Bar der „Krone“ drückte ich Jörn eine Kassette in die Hand. Er rief danach direkt an und so ging es los. Aus Teilen dieser Stücke entstand die erste Acid Jesus, die 1992 rauskam.

Auf dem eigenen Plattenlabel Klang. Damit begann auch Eure professionelle Frankfurt/Offenbach-Verbindung.

Genau. Wir lernten Ata Macias und Heiko MSO vom Label Ongaku kennen. Gemeinsam gründeten wir die Labels Klang und Playhouse als eine Art Gegenentwurf zum damals vorherrschenden stumpfen Hardtrance-Sound in Frankfurt. Mit anspruchsvollen und feinjustierten Produktionen von uns und Leuten wie Isolee, Jan Jelinek oder Losoul trafen wir wohl einen Nerv. Auch Sven Väth klopfte irgendwann an, ob wir nicht auf seinem damaligen Label Harthouse veröffentlichen wollten. So entstand Alter Ego.

Was sagen Deine in Darmstadt wohnenden Eltern zu Deiner Karriere?

Ich hatte eigentlich Musikwissenschaft studiert, das Studium aber abgebrochen zu einem Zeitpunkt, als Techno und House in meinem Leben so groß wurde. Die waren sicher enttäuscht, direkt haben Sie mir das aber nie gesagt. [lächelt] Rückblickend sind sie aber ziemlich zufrieden, wie alles gelaufen ist. Als ich vor zwei Jahren im 603qm auflegte, haben sie sich das erste Mal so eine Nacht im Clubkontext mit entsprechender Musik, Licht, Lautstärke und Menschenmenge angetan. Meine Eltern sind ja nicht mehr die allerjüngsten, aber morgens gegen 6 Uhr habe ich noch eine SMS bekommen, dass sie die Nacht genossen und jetzt noch eine Flasche Rotwein geöffnet hätten. Das war ein schöner Moment für mich.

In Darmstadt entstanden zu Beginn der 1990er Eurodance-Welthits von Acts wie Culture Beat und Captain Hollywood Project. Hattest Du zu dieser Musik und Leuten wie dem Produzenten Torsten Fenslau irgendeinen Bezug?

Überhaupt nicht. Das waren teilweise natürlich Welthits, aber man fand die eigentlich nur prollig. Fenslau war für einige Leute legendär als Gründer und Teilhaber diverser Clubs. Das Drama um seinen tödlichen Autounfall [1993 in der Nähe von Messel bei Darmstadt, Anm. d. Red.] ging eher an mir vorbei. Finde es im Nachhinein aber interessant, dass so große Eurodance-Hits ausgerechnet in Darmstadt entstanden sind.

Mit dem ebenfalls in Darmstadt aufgewachsenen Ricardo Villalobos [geboren in Chile. Anm. d. Red.] hast Du ein gemeinsames Projekt: „RiRom“. Kanntet Ihr Euch schon zu Darmstädter Zeiten?

[lacht] Ja, definitiv. Wir feierten hier wilde und oft illegale Partys – im ehemaligen Schlachthof, unter Autobahnbrücken, in der Knabenschule oder in einem leerstehenden Discounter-Supermarkt. Mitte der Neunziger lernte ich Ricardo kennen. Da war er noch eher Hippie und spielte permanent Percussion. Erst danach entdeckte er House Music für sich, wurde dann aber schnell zum treibenden Faktor in dieser Stadt. Seine Unbedarftheit und seine charmante Frechheit, das war schon damals grandios.

Welchen Bezug hast Du heute noch zu Darmstadt?

Unser Alter Ego-Studio befindet sich immer noch hier im Martinsviertel. Ansonsten waren „Krone“ und später Kesselhaus in meiner Jugend durchaus wichtig. Dann aber gab es eine Art Abnabelungsprozess von Darmstadt, zumal ab 1999 mit Atas Club Robert Johnson in Offenbach mein wichtigster neuer Anlaufpunkt öffnete. Und seit dem Erfolg von „Rocker“ war ich eigentlich eh permanent weltweit unterwegs. Erst als die Leute vom 603qm nicht locker ließen, kam ich 2006 als DJ wieder zurück in meine Heimatstadt. Seitdem richte ich mir das immer wieder terminlich ein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Fazit: Ein angenehmer und bescheidener Zeitgenosse – trotz des weltweiten Erfolges. Nur Georg Büchner (1.240.000), Justus Liebig (1.580.000) und Ricardo Villalobos (2.050.000) weisen als „im Grunde“ Darmstädter mehr Ergebnisse bei Google auf. Eine interessante und ehrwürdige Boygroup. Und die quirlige Andrea Petkovic (8.110.000) als Front-Girl vorneweg.

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