Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

„Männer wollen Frauen noch immer sanft, passiv, unterwürfig und vor allem abhängig. Eine, die selbstständig denkt, ist für die meisten beängstigend.“ Diese Worte schreibt Luise Büchner (1821–1877) in Iris Welker-Sturms Roman „aus der stimmhaft“ in einem Brief an eine Freundin.

Luise Büchner? Das ist doch die kleine Schwester des großen Georg Büchner. Stimmt. Klein aber nur insofern, als dass sie acht Jahre jünger war als Darmstadts wohl berühmtester Sohn, dessen Werke heute Weltliteratur und Schullektüre sind. Doch auch seine Schwester, deren 200. Geburtstag sich im Juni jährte, leistete Großes: Bekannt ist sie vor allem als eine der wichtigsten Vertreterinnen der frühen Frauenbewegung in Deutschland. Sie schrieb allerdings auch Märchen, Gedichte, Novellen und einen Roman.

„Als Lehrerin unterrichtete ich jahrelang Georg Büchner, Luises Literatur hingegen kannte ich kaum, eher ihre Schriften als Frauenrechtlerin“, sagt Iris Welker-Sturm. Ohne Luise würden wir möglicherweise heute wenig von Georg Büchner kennen. Denn sie war es, die die kaum leserlichen Handschriften ihres Bruders, der wegen seiner revolutionären Flugschrift „Der Hessische Landbote“ steckbrieflich gesucht und ins Exil geflüchtet war, nach dessen frühem Tod transkribierte und sich mit ihren jüngeren Brüdern für deren Veröffentlichung einsetzte.

Über das Leben Luise Büchners

Mit der Episode, in der die junge Luise das Konvolut mit den Manuskripten ihres Bruders erhält, beginnt der Roman. Über den rebellischen Georg spricht die Familie Büchner zu der Zeit nur noch hinter vorgehaltener Hand. Welker-Sturm erzählt das Leben Luises bis zu ihrem Tod mit 56 Jahren einfühlsam und ruhig, in präziser, schnörkelloser Sprache.

Wie unter einem Brennglas legt sie offen, unter welchen Zwängen eine Frau im 19. Jahrhundert leben musste. „Sie wurde ständig behindert“, verdeutlicht Welker-Sturm. Luise durfte ihrem Wunsch zu schreiben nicht folgen. Ihr bekanntestes Werk, „Die Frauen und ihr Beruf“, in dem sie sich für eine bessere Bildung für Mädchen einsetzte, musste sie zunächst anonym veröffentlichen. Sie konnte ihre Stimme nicht erheben – darauf spielt der Buchtitel „aus der stimmhaft“ an.

Es ist Welker-Sturms erster Roman. Sie veröffentlichte bislang vorwiegend Lyrik. In vielen Texten behandelt die Autorin, die sich als „Wortstellerin“ bezeichnet, Sprache und Frauenrechte. Sie arbeitete fast acht Jahre an dem Buch. Sie recherchierte im Stadtarchiv und in der Luise-Büchner-Bibliothek im Literaturhaus. Die Titelliste der Werke, die sie wälzte, füllt unzählige Seiten. „Ich kaufte mehrere Kisten antiquarischer Bücher über die damalige Zeit. Ich suchte Dinge, die meine Fantasie anregen. Die historischen Tatsachen sollten aber schon stimmen.“ Das zeigt das umfangreiche Glossar.

Gleichwohl nahm sie sich dichterische Freiheiten heraus: „Die Figuren mussten Fleisch bekommen. Ein bisschen Liebe sollte schon rein.“ Eine Schwärmerei Luises für Georgs Schulfreund und Mitverschwörer Karl Minnigerode etwa sei zwar nicht direkt belegt, man könne sie aber mit etwas Fantasie aus den überlieferten Zeugnissen herausdeuten. Eine erste Eisenbahnfahrt hingegen strich die Autorin gleich wieder, als sie bemerkte, dass Darmstadt zu dem Zeitpunkt, an dem die Szene spielt, noch gar keinen Bahnanschluss hatte. In einem späteren Abschnitt allerdings fährt Luise erstmals mit dem Zug. Welker-Sturm lässt sie – lange vor Einführung der „RMV-10-Minuten-Garantie“ – Dankbarkeit empfinden: „Was für ein Segen ist doch die Eisenbahn! Vor dreißig Jahren hat man mit der Postkutsche nach Frankfurt rund zwölf Stunden gebraucht, und wie flott geht das jetzt.“

 

Das Buch

„aus der stimmhaft“, erschienen im Axel Dielmann Verlag, 312 Seiten mit umfangreichem Glossar, 20 €

 

Nächste Lesungen

Mi, 13.10., 18.30 Uhr, Offenbach, Haus der Stadtgeschichte

Sa, 23.10.,16 Uhr, Frankfurt, Volksbühne im Großen Hirschgraben (Open-Books-Veranstaltung zur Buchmesse)

 

Die Autorin

Iris Welker-Sturm, geboren und aufgewachsen in Mannheim, lebt seit 20 Jahren in Darmstadt. Sie arbeitete als Lehrerin in Obertshausen und Dreieich.

Lyrikbände: „und zur Begrüßung hab ich tschüs gesagt“ (2001), „das unerhörte zwischen. gedichte & mokka kaos“ (2014)

Trägerin unter anderem des Landschreiber- und des Dagmar-Morgan-Preises. Mitglied der Redaktion des Darmstädter Frauenmagazins „Mathilde“. Als bildende Künstlerin aktiv, zahlreiche Ausstellungen.

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