Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Fans von „Die drei ???“ kennen ihn schon lange, doch seit Sommer 2022 ist der Darmstädter Ivar Leon Menger nicht nur erfolgreicher Hörspielautor, Verleger und Regisseur, sondern auch Buchautor. Seinem Debüt-Thriller „Als das Böse kam“ (dtv) schreibt Sebastian Fitzek eine „enorme Sogwirkung“ zu. Mit diesem schriftstellerischen Ritterschlag ist Ivar der geschmeidige Start in eine Autorenkarriere auf Anhieb gelungen. Dass Peter Shaw und Justus Jonas – alias Synchronsprecher Jens Wawrczeck und Oliver Rohrbeck – ihn als Autor für „Die drei ???“ empfahlen, war nur einer von den vielen Erfolgen des 49-Jährigen in der Hörspiel-Branche. Für Audible produzierte er unter anderem die Mystery-Thriller-Serien „Monster 1983“ und „Ghostbox“, die zu den erfolgreichsten Produktionen Deutschlands gehören und in denen jede Menge bekannte Sprecher:innen zu Wort kommen. Mit seiner Frau Nadine und Tochter Ava wohnt Menger in der Nähe von Darmstadt, seinem „Basiscamp“. Und eines wird im Blackbox-Interview schnell klar: In den letzten Jahren ist Ivar trotz Pandemie alles andere als untätig gewesen … Und das bleibt auch so: Unter anderem liest er bei den Darmstädter Krimitagen Ende März aus „Als das Böse kam“.

Ivar, Du bist ja waschechter Heiner, hast aber auch schon in Hildesheim und Berlin gewohnt. Kannst Du Dir vorstellen, noch mal aus Darmstadt wegzuziehen?

Als Schriftsteller kannst du ja schreiben, wo du willst, da kannst du auch in einem dunklen Kellerloch sitzen. Das ist egal, weil du deine Welten ja baust. Ich habe noch nie an einem richtig wunderschönen Ort geschrieben, aber ich könnte mir vorstellen, dass ich dann wahrscheinlich gar nicht zum Arbeiten käme, weil ich die ganze Zeit nur rausschauen und vergessen würde, dass ich arbeiten will. Ich kann mir auf jeden Fall vorstellen, irgendwann noch mal woanders hinzuziehen. Aber ich würde immer mit einem Fuß in Darmstadt bleiben.

Zum Studium ging es für Dich von Darmstadt nach Hildesheim. Warst Du eigentlich ein begeisterter Grafikdesign-Student?

Weil ich ja nichts anderes konnte als zeichnen, war für mich klar, dass ich Grafikdesign mache. Im ersten Semester gab es dann den Kurs „Freie Kunst“. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich Freie Kunst studieren wollte. Mein Vater ist ausgeflippt, der ist nach Hildesheim gekommen und hat dem Professor ausgeredet, dass ich Freie Kunst machen könnte. Zwei Semester später habe ich gemerkt: Ich muss filmen. Und mein Vater hat gesagt: „Ich bezahle Dir kein zweites Studium, geh‘ arbeiten!“ Dann kam der Moment, in dem ich gesagt habe: „Es ist mir egal, ich will zum Film.“ Und dann habe ich gedacht: „Okay, Bild kann ich, aber schreiben nicht. Das muss ich aber können, wenn ich zum Film will.“ Und dann habe ich in einer Frankfurter Werbeagentur als Texter angefangen, um Geld zu verdienen und gleichzeitig Schreiben zu lernen. Damit musste mein Vater dann leben.

Hat das Schreibenlernen in der Agentur funktioniert?

Geschichten habe ich schon als Kind gerne erzählt. Freunden, die bei mir übernachtet haben, habe ich welche zum Einschlafen erzählt. Einmal habe ich es sogar geschafft, dass einer von seinen Eltern abgeholt werden musste, so unheimlich war die Geschichte. In Deutsch hatte ich aber eine Fünf. Das Schreiben ging eben nicht, ich konnte einfach keine Longcopys verfassen. In der Agentur musste ich viele Funk- und TV-Spots schreiben – das war alles Dialog und ist einfach so aus mir rausgeflossen. Deswegen war das Hörspiel-Schreiben für mich kein Problem. Für Werbespots brauchst du eigentlich immer einen größeren Twist am Ende, das lernst du dort von der Pike auf. Man lernt auch, komprimiert zu schreiben. Wenn es aber in der Agentur hieß: „Schreibe einen Katalog“, dann bin ich fast gestorben. Für alles, was länger ist, brauche ich ewig.

Den Job als Werbetexter hast Du dann aber auch wieder aufgegeben und stattdessen in der Videothek angefangen. Wie kam es dazu?

Generell habe ich es im Beruf später immer gemacht wie in Beziehungen: Ich habe immer gesagt, ich gehe da zu hundert Prozent rein, auch wenn es vielleicht schmerzt. Aber sonst weiß ich ja nicht ehrlich, ob es funktioniert oder nicht. Und genauso ist es im Beruf auch, da musst du dich komplett fallen lassen. Halbherzig funktioniert es nicht. Und ich wollte eben unbedingt zum Film, musste aber gleichzeitig irgendwie Geld verdienen. Ich wollte außerdem die ganze Zeit Filme gucken. Also gab es nur zwei Varianten: Entweder im Kino arbeiten oder in der Videothek – und in der Videothek war etwas frei. Ich fand den Job [bei den „Video Profis“ in Darmstadt] super! In dieser Zeit habe ich auch schon an meinen Drehbüchern geschrieben. Ich habe damals zwei Cover-Varianten meines zweiten Kurzfilms in ein Regal in der Videothek gestellt, als eine Art A-B-Test. Dann habe ich beobachtet: Wo greifen die Leute eher hin? Und: Nehmen sie den Film in die Hand und lesen den Klappentext?

War es schwierig, sich für „Die drei ???“ immer wieder neue Plots auszudenken, in denen immer dieselben Figuren vorkamen?

Das fand ich tatsächlich schwierig. Du weißt: Das ist eigentlich für Zwölfjährige, aber es hören 35-aufwärts. Und du musst irgendwie beides bedienen. Die Älteren hören das aus Nostalgie, die Jüngeren vielleicht, weil ihre Eltern es ihnen gegeben haben. Und dann gibt’s ja schon alles: Raub, Erpressung, da kannst du das Rad nicht neu erfinden. Ich habe es auch für meine Tochter gemacht, weil es das Einzige war, das sie von mir lesen beziehungsweise hören konnte, denn für den Rest war sie noch zu jung.

Konnte Deine Tochter Wünsche einbringen?

Ich habe sie selbst reingeschrieben! In die Folge „Hotel Luxury End“. Da war meine Frau gerade schwanger und wir wussten noch nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, aber wir wussten schon beide möglichen Namen. Daher habe ich sicherheitshalber beide Namen in das Hörspiel eingebaut.

Und sogar die Lilien haben es schon mal in eines Deiner Hörspiele geschafft.

Ja, in die Audible-Serie „Ghostbox“. Da hab ich mich gefreut, denn da ist man dann schon Lokalpatriot. Ich weiß nicht, warum … Irgendeine Stimmung hat das ja hier. Ich glaube, die Lilien sind genau dieses Ding von Darmstadt, dieses Underdog-Ding. Hier sind so viele große Firmen und es wird kein großes Drumherum gemacht. Du merkst es aber auch an bestimmten Modeläden, die vielleicht in Wiesbaden und Frankfurt super funktionieren, aber hier in Darmstadt nicht, da kleidest du dich nicht auffällig. Das ist das, was mir in Darmstadt aber auch gefällt. In Berlin bin ich extrem kreativ, aber habe dort gleichzeitig so einen kreativen Druck. In Darmstadt kannst du entspannter deiner Kreativität nachgehen. Deswegen würde ich mein „Basiscamp“ Darmstadt nie vollständig aufgeben.

Hattest Du lange vor, ein Buch zu schreiben?

Im Februar 2020 hat mich eine Filmproduktion gefragt, ob ich nicht einen Film für Netflix schreiben könnte. Ich habe gesagt: „Klar, mach ich.“ Dann kam der Lockdown und es wurde überhaupt nicht mehr gedreht. Trotzdem hatte ich die Idee für das Buch. Aber weil ich sogar für eine Musterseite schon ewig brauchte, dachte ich, ich bräuchte gar nicht erst anzufangen. Dann habe ich gelesen, dass Ernest Hemingway auch nur eine Seite am Tag geschrieben hat. Und dann dachte ich mir: „Wenn er das konnte, kann ich das auch! Wenn ich jeden Tag eine Seite schreibe, habe ich im Jahr 365 Seiten.“ Und so habe ich es dann gemacht. Jeden Tag eine Seite. Nach den 15 Jahren, die ich Hörspiele produziert habe – alles als Download –, wollte ich aber auch endlich mal etwas Physisches in der Hand haben. Ich glaube, jeder, der schreibt, möchte gerne mal einen Roman schreiben. Dieses Jahr im Sommer erscheint mein zweiter!

Bei den beiden Thrillern bleibt es aber nicht, oder?

Mit dem ersten Buch war es, als wäre ein Knoten geplatzt. Ich habe die ganze Zeit gezweifelt und wusste nicht, ob das gut ist, was ich da mache. Ich habe mir gedacht: „Im Notfall veröffentliche ich es halt als Hörbuch, wenn kein Verlag es haben will, dann habe ich es nicht umsonst geschrieben.“ Dass ich dann das Glück hatte, dass fünf große Publikumsverlage es haben wollten und ich mir sogar einen aussuchen konnte, das war total krass. Gerade bin ich bei der Hälfte meines dritten Thrillers und schreibe parallel den vierten.

Was macht einen guten Krimi aus?

Das ist totale Geschmacksache. Es gibt natürlich einen Sebastian Fitzek, der Morde sehr explizit zeigt, immer aus Sicht der Opfer natürlich, und der eine riesige Fangemeinde hat. Dann gibt es aber auch Menschen, die sich eher psychologischen Horror wünschen. Im Krimi geht es meistens um einen Mordfall, der nicht gelöst wurde, und beim Thriller geschieht der Mord erst noch. Mein Buch ist im Grunde ein Psycho-Thriller, es fließt überhaupt kein Blut. Aber ich glaube, das braucht man nicht. Die Spannung kann woanders herkommen.

Gruselst Du Dich selbst manchmal beim Schreiben?

Das ist mir tatsächlich einmal passiert! Ich habe eine Zeit lang im Wald geschrieben, auf einem Hocker. Einmal im Herbst, da habe ich mich ins Auto gesetzt und auf einem Waldparkplatz geparkt, mit Blick aus dem Fenster. Ich saß auf dem Beifahrersitz mit dem Laptop auf dem Schoß. Irgendwann ging der Bildschirm aus, weil der Akku leer war, und ich saß plötzlich im Stockdunklen. Ich hatte mich in eine total gruselige Szene reingeschrieben und bin dann echt auf diesem dunklen Waldparkplatz ums Auto gerannt, um auf den Fahrersitz zu kommen.

Wie holst Du Dir Inspiration? Gibt es in Darmstadt Orte, an denen du manchmal vorbeigehst und denkst: „Hier muss unbedingt eine gruselige Szene spielen“?

Ich lasse mich weniger von Orten inspirieren als von Situationen. Du musst nur mit einem ganz normalen Setting anfangen und es dann brechen. Hier wäre dieses Setting: Ein Schriftsteller wird zum Interview gebeten. Aber was wäre, wenn im Interview dann irgendwas rauskommt, was du aus meiner Vergangenheit recherchiert hast, und plötzlich dreht sich das Gespräch? Du fängst also mit der harmlosen Grundsituation an und beginnst dann zu spielen.

 

Wie läuft Dein Schreibprozess ab?

Ein Buch schreiben ist wie ein Marathonlauf. Das machst du nicht schnell, sondern du musst da ewig dran schreiben. Manche Autor:innen geben ihr Buch erst an Testleser:innen raus, wenn es komplett fertig ist. Ich mache das immer kapitelweise. Das ist für mich wie Streckenabschnitte, an denen Menschen mit Wassereimern stehen und mir sagen: „Du schaffst es, mach weiter!“ Deswegen beende ich die Kapitel gerne mit Cliffhangern, denn wenn die Testleser:innen mich dann fragen: „Wann kommt denn das nächste Kapitel?“, dann weiß ich, dass es funktioniert hat und bin motiviert, das nächste zu schreiben. Es gibt die Schriftsteller:innen, die von Anfang an plotten [erst die komplette Grundhandlung ausdenken, dann schreiben], und es gibt die, die einfach drauflosschreiben. Ich war durch das Hörspiel auch ein totaler Plotter. Dann habe ich aber gemerkt, dass neue Ideen während des Schreibens entstehen und mich entschieden: Ich lass‘ es einfach laufen. Ich schreibe auf einer elektrischen Schreibmaschine, da hast du keinen Cursor und kannst nicht zurückgehen. Das ist für mich perfekt, weil ich dann in den Flow komme und einfach drauflosschreiben kann. Wenn ich an einen Punkt komme, an dem ich merke, dass ich etwas nicht weiß oder recherchieren muss, dann tippe ich einfach „X“ und schreibe weiter. Denn ich habe festgestellt: Wenn man später wieder drübergeht, hat man nicht vergessen, was man ändern wollte. Das ist irgendwo abgespeichert.

Schreibst Du mit Deiner Schreibmaschine dann immer zu Hause, nie im Café?

Einmal habe ich mich ins Corner Café gesetzt, um ein Hörspiel zu schreiben. Dann habe ich kurz Pause gemacht und alle haben mich ganz seltsam angeguckt. Da habe ich mich gewundert, aber meinen Kaffee weitergetrunken und weitergeschrieben. Und dann erst habe ich gemerkt: Ich habe die Dialoge während des Schreibens laut mitgesprochen! Das habe ich zu Hause natürlich immer gemacht, aber jetzt war ich eben im Café. Dann war mir klar, warum die Leute mich angeschaut haben: Da saß einer und sprach laut mich sich selbst!

Vom Analogen ins Digitale: Hast Du Deinen Youtube-Kanal eröffnet, um auch mal selber vor der Kamera zu stehen?

Genau so ist es. Ich hab es früher gehasst, auf die Bühne zu gehen. Ich wollte damals keinen Preis bekommen, weil ich nicht auf die Bühne gehen wollte, um ihn entgegenzunehmen oder eine Dankesrede zu halten. Einmal wusste ich, dass ein Hörspiel von mir einen Preis bekommt. Da habe ich Oliver Rohrbeck, der Justus Jonas spricht, gefragt, ob er einen Text für mich einsprechen würde. Ich hab den Preis bekommen, bin auf die Bühne gegangen und hab dann einfach mein iPhone ans Mikrofon gehalten. Dann habe ich lippensynchron zu der Aufnahme von Oliver gesprochen: „Guten Abend, ich bin die deutsche Synchronstimme von Ivar Leon Menger und ich bedanke mich für den Preis …“ und alle haben sich totgelacht und fanden es eine geile Idee. Aber eigentlich war es nur, weil ich wusste: Ich würde auf der Bühne versagen. Mich auf Youtube auszuprobieren, hat mir dabei geholfen, nach und nach die Kamerascheu abzulegen.

Wie sieht es mit Deiner Bühnenscheu bei Lesungen aus?

Meine erste Lesung kam zustande, weil meine Tochter in der Schule das Thema „Werbung“ hatte. Sie hat erzählt: „Mein Vater hat früher auch Werbung gemacht, jetzt ist er Schriftsteller.“ Die Lehrerin hat dann vorgeschlagen, dass ich mein Buch im Deutschunterricht vorstellen könnte. Als meine Tochter mir das erzählt hat, dachte ich: „Oh, scheiße.“ Ich sollte vor 20 Fünfzehnjährigen mein Buch vorstellen! Aber eigentlich war es auch eine gute Übung. Zwei Tage später kam meine Tochter wieder zu mir und sagte: „Papa, wir haben ein großes Problem. Es hat sich im Lehrerzimmer herumgesprochen, und die Lesung ist jetzt in der Aula!“ – vor über hundert Schülerinnen und Schülern! Aber ich habe diese Feuerprobe zum Glück gemeistert – ohne peinlich zu sein. Mittlerweile bin ich die Bühnenangst also losgeworden. Und deswegen weiß ich: Man kann alles lernen. Als Nächstes will ich mich an einem Podcast versuchen …

Vielen Dank für das unterhaltsame und anekdotenreiche Gespräch, Ivar.

 

Ivar live bei den Darmstädter Krimitagen

Ganz ohne Bühnenangst: Am Montag, 27. März, um 20 Uhr in der Knabenschule liest Ivar Leon Menger im Rahmen der Darmstädter Krimitage – die nach zweijähriger Pause endlich wieder stattfinden – aus seinem ersten Thriller „Als das Böse kam“. Auf ivarleonmenger.de könnt Ihr übrigens eine signierte Ausgabe bestellen!

Darmstädter Krimitage: Bessunger Knabenschule + Bessunger Buchladen + Citydome Kino | Mo, 27.03. bis Sa, 01.04. | 12 € je Lesung, Festivalpass: 60 €

darmstaedter-krimitage.de

instagram.com/ivarleonmenger

 

Vormerken: die Criminale 2023 in Darmstadt!

Und gleich das nächste Event für Krimi-Lovers: Die Criminale, das größte Branchenfest rund um den deutschsprachigen Krimi, wird vom 10. bis 13. Mai jede Menge Krimi-Autoren und Autorinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nach Darmstadt locken. Gemeinsam werden sie eine Anthologie herausgeben, die voller Kurzgeschichten steckt, die alle in Darmstadt spielen. Im Rahmen der Criminale wird Ivar Leon Menger im Vivarium vorlesen – denn dort spielt seine Kurzgeschichte.

die-criminale.de