Auf dem geschichtsträchtigen Jugendhof Bessunger Forst herrscht Aufbruchstimmung. Neue Köpfe wollen mit vielversprechenden Ideen wieder an das rege Kulturleben vergangener Tage anschließen. | Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Zwei Hühner spazieren über eine große Wiese mit Zelten. Vorbei an bunten Schildern, Bierbänken und einem Lagerfeuer – bis zu einem Bauwagen mit Außenküche, um dort nach etwas Essbarem auf dem Boden zu suchen. Sie laufen über eine der ältesten selbstverwaltenden Bildungs- und Jugendstätten Hessens – wenn nicht sogar Deutschlands. Heute kommen an diesem idyllischen Ort Jugendgruppen zusammen, Gäste jeglichen Alters besuchen Seminare, Konzerte oder das sonntägliche Forstlove Café. Doch die Geschichte des Jugendhofes Bessunger Forst zwischen Roßdorf und Darmstadt reicht bis zu 100 Jahre in die Vergangenheit.

Damals, ab 1920, als Erholungsort von der Stadt Darmstadt gebaut, wurde das Gelände ab 1936 zuerst zu einem Schulungslager der Hitlerjugend (geführt von der SS) umfunktioniert, um später als Lebensmittellager im Krieg und danach als Unterkunft für Geflüchtete zu dienen. Nach einigen Jahren als städtisches Kinderheim unterhielt schließlich ab 1966 der Bund Deutscher Jugendschaften (BDJ) eine Bildungsstätte auf dem Gelände. Etwas koordinierter wurde es 1977, als sich die Leute des BDJ mit anderen Jugendgruppen zusammenschlossen und den Jugendhof Bessunger Forst e. V. gründeten. Das Gelände gehörte zwar, wie heute immer noch, der Stadt Darmstadt, allerdings wollte man schon damals vollkommen autonom sein und die Ideen zu Jugend- und Bildungsarbeit selbst umsetzen.

Und diese Prämisse hat sich bis heute gehalten. Zwar gab es in der Zeit Höhen und Tiefen für den Verein, doch in jüngster Vergangenheit steckt wieder neues Leben im Jugendhof. „Das ist schon etwas Besonderes für eine Stadt, so einen Ort in unmittelbarer Nähe zu haben – der immer noch betrieben wird und das Ziel verfolgt, Menschen unterschiedlichen Alters zu den Themen Bildung, Kultur und Freizeit zusammenzubringen“, sagt Torsten Jahr vom Jugendhof-Verein. Seit 2019 ist er im Vorstand aktiv und damit Teil des Teams, das dem Projekt neue Aufbruchsstimmung brachte. Schon als Jugendlicher vor 25 Jahren war er auf dem Hof unterwegs.

Leckeres gibt’s im Forst Café | Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

 

Bildung, Kultur und Freizeit

Nachdem bis Anfang 2018 etwa 40 unbegleitete minderjährige Geflüchtete auf dem Gelände untergebracht und versorgt wurden, herrschte erst einmal Stille auf dem Jugendhof. Der Verein war etwas überfordert mit der Situation: Es gab Investitionsstau, Sanierungsarbeiten stockten, vieles auf dem Gelände lag brach, Mitglieder stiegen aus. Mit dem neuen Team aber kam schließlich auch wieder neue Begeisterung. „Da wurde uns noch mal klar, was hier alles möglich ist und was der Ort eigentlich für ein Alleinstellungsmerkmal im Rhein-Main-Gebiet hat“, erklärt Torsten und spielt dabei auf die große Outdoor-Fläche und die gute Anbindung und Nähe zur Stadt trotz der naturnahen Lage an. Man wollte an die früheren Jahre anknüpfen und wieder einen lebendigen und kulturellen Begegnungsort für Jugendgruppen schaffen. Allerdings kam dann erst mal die Pandemie.

Gerade während der zweiten und dritten Welle habe das dazu geführt, dass man so gut wie keine Gäste oder Jugendgruppen mehr willkommen heißen durfte. „Immerhin hatten wir dann mal richtig Zeit zum Bauen“, lacht Torsten. „Wir haben im Prinzip nur gebaut. Wie die Verrückten. Ab und zu kamen dann mal Gäste, wenn es wieder erlaubt war, und als die wieder weg waren, haben wir weiter gebaut. So sah quasi unser Jahr 2020 aus.“

Torsten Jahr und Alex Welsch (Gute Stube) | Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

 

Bau-Jahr 2020

Man hat schließlich auch noch viel vor. Zum Beispiel möchte der Verein in Zukunft nicht nur die Räume für Gruppen zur Verfügung stellen, sondern auch seine eigenen Angebote auf dem Gelände weiter ausbauen. „Wir wollen auch selbst Bildungsprogramme auf die Beine stellen – wie zum Beispiel die Ferienspiele, die wir dieses Jahr das zweite Mal veranstaltet haben“, erzählt Andi Lösch. Der gelernte Maurer und Fachwerkrestaurator ist seit 2019 im Team und kümmert sich inzwischen hauptamtlich vor allem um Koordination, Büroarbeit und Sanierungen auf dem Gelände. So ist auch die Einrichtung eines Waldkindergartens sowie eine inklusive Multifunktionswerkstatt für Siebdruck und Fotoentwicklung in Planung. Auch will man langfristig noch mehr Stellen schaffen. „Allein die Geländegröße von 18.000 Quadratmeter benötigt viel Aufmerksamkeit und bedeutet viel Arbeit. Dazu kommt noch die Betreuung der Gäste, der Bürokram und so weiter“, erklärt Torsten. Fast 80 Schlafplätze biete das Gelände für Kinderfreizeiten, Pfadfindergruppen, Fridays for Future, Vielbunt, IG Metall und andere Gruppen. „Wenn es richtig läuft, braucht man mehr Leute. Auch im Vorstand.“ Derzeit bestehe der Verein aus etwa 80 Mitgliedern, wovon um die 20 aktiv mitarbeiten. Den Vorstand teile man sich zu dritt.

Am wohl bekanntesten ist der Jugendhof zurzeit jedoch für sein Forstlove Café. Hier kommen jeden Sonntag etwa 250 Besucher:innen zum Entspannen bei heißen und kühlen Getränken sowie süßen und herzhaften Speisen in den grünen und weitläufigen Hof des Vereins, der mitten in der Natur liegt. Dazu gibt es oft auch Musik – diesen Sommer etwa vom Jazz-Trio Inui aus Darmstadt oder mit Gitarren-Folk der Black Elephant Band aus Nürnberg. Diese kulturelle Aufwertung soll in Zukunft weiter ausgebaut werden. Der gemeinschaftliche Speisesaal, in dem normalerweise 60 bis 70 Gäste von der angeschlossenen Großküche versorgt werden können, soll zum Beispiel auch als Konzert- und Lesungssaal genutzt werden. In der Vergangenheit gab es auf dem Gelände sogar schon über mehrere Jahre das Forst Festival der „Guten Stube“ und auch das Golden Leaves Festival der Bedroomdisco gastierte hier zwei Jahre lang. „Es sind auf jeden Fall Ideen da, Kultur weiter auszubauen“, betont Torsten. „Es steht und fällt halt alles mit den Corona-Maßnahmen.“ Schließlich würden die Auflagen bestimmen, wie viele Gäste empfangen oder Schlafplätze belegt werden dürften – und damit auch, wie viel Geld eingenommen werden kann zur Finanzierung der Projekte.

DJ Chromo! | Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

 

Bauzäune? Höchstens bemalte!

Letzten Endes geht es dem Verein aber einfach darum, junge Menschen zusammenzubringen. „Jugend, Kinder, Bildung, draußen sein, Kreatives, Kultur … – dafür ist der Ort konzipiert. In seinen ganzen Facetten“, erklärt Torsten. Und dabei will man so selbstständig und frei bleiben, wie es geht: „Bauzäune wollen wir hier nicht aufstellen – höchstens bemalte.“

 

Kulturprogramm September

Im September sind im Jugendhof Bessunger Forst wieder drei Forstlove Cafés geplant (am 05. + 12. + 19.09.). Der Eintritt ist hier gewohnt frei. Musikalische Begleitung gibt es dabei am 05.09. vom RTC-DJ-Team aus New York und am 19.09. vom Folk-Solo-Performer The Black Elephant Band aus Nürnberg. Darüber hinaus wird auf dem Gelände am 04.09. das „Axelfest“ gefeiert, mit dem Axel Röthemeyer gehuldigt wird. Am 11.09. steigt das Contrast Festival mit Konzerten, DJs, Workshops, Kunst und Performances. Am 26.09. präsentiert die Darmstädter Konzertreihe „Gute Stube“ auf dem Jugendhof den Wiener Singer/Songwriter Sterzinger (Beginn 20.15 Uhr, Eintritt: 5 bis 10 €). Alle Events sind nach dem Motto „Draußen ist das neue Drinnen“ outdoor geplant und stehen unter Vorbehalt des aktuellen Pandemie-Geschehens.

jugendhof.org

 

„Parole P“-Podcast zum Jugendhof

Noch mehr Stimmen aus dem Jugendhof Bessunger Forst hat P-Podcaster Samba Gueye für unseren Stadtkultur-Podcast eingefangen. Die aktuelle Folge findet Ihr bei Spotify, Apple Music sowie auf der P-Webseite. Eine neue Folge „Parole P“ erscheint regelmäßig am 15. des Monats. Viel Spaß beim Hören!