Recording, Mixing und Mastering: Tonstudios sind wesentlicher Bestandteil der Musikbranche und unabdingbar für eine Kulturszene, die über Proberaumaufnahmen hinausgehen möchte. In der neuen Artikelserie „Klangspuren“ stellen wir Euch ab sofort regelmäßig ein neues Darmstädter Tonstudio vor – denn davon gibt es in unserer Stadt eine ganze Menge. Folge 1 ist dabei direkt eine Doppelausgabe: Im Juli 2023 zog das Tonstudio und Plattenlabel Nektarium Music zum Raum 103 Tonstudio in die Landwehrstraße, schräg gegenüber vom Haus für Industriekultur. Das Studiokollektiv im Westen Darmstadts vereint somit Musikproduktionen, Film- und Fernsehvertonungen nach internationalem Standard mit analogem Mastering. Mit seinem 80 Quadratmeter großen Aufnahmeraum und zwei separaten Regieräumen ist es einer der größten Anbieter im Rhein-Main-Gebiet.
Gyso Hilger (Nektarium) und Christoph Paulssen (Raum 103) blicken jeweils auf mehr als 25 Jahre in der Musikproduktion zurück. Unter einem Dach vereint arbeiten sie inzwischen auch an gemeinsamen Projekten, was – allein rein technisch gesehen – ganz neue Möglichkeiten mit sich bringt. Doch behalten beide Studios auch ihre Eigenständigkeit. Während Nektarium sich immer mehr auf analoges Mastering spezialisiert hat, beschäftigt sich Raum 103 neben dem Recording von Musik vor allem mit der Vertonung und Nachbearbeitung von TV-, Film- und Kinoproduktionen. Als eines von zwei hessischen Studios mit offizieller Dolby-Lizenz kommt dafür vor allem ein Dolby-Atmos-System zum Einsatz, das für ein ziemlich beeindruckendes, immersives und dreidimensionales Klangerlebnis sorgt.
Das einzige seiner Art in Rhein-Main-Neckar
Für die Aufnahme von Bands und großen Ensembles wird der geräumige Aufnahmeraum im Herzen des Studiokomplexes genutzt, wo Green Screen und Beleuchtung auch Foto- oder Videoaufnahmen ermöglichen. An ihn angeschlossen befinden sich kleinere Verbindungsräume, in denen ebenfalls aufgenommen werden kann; sie führen jeweils zu den zwei Regieräumen. Prachtstück der Ausstattung ist ein „Steinway“-Konzertflügel D-274 – nach eigener Angabe der einzige seiner Art in einem Tonstudio im Rhein-Main-Neckar-Gebiet. Und zu guter Letzt könne man durch den Zusammenschluss der Studios auch auf eine stattliche Sammlung an Mikrofonen blicken: „Das könnte man sich als einzelnes Tonstudio so gar nicht leisten“, erklärt Christoph Paulssen. Hinzu kommen diverse E-Pianos, Preamps sowie analoge Synthesizer.
Eine Besonderheit des Studio-Kollektivs sei außerdem, so Paulssen, dass man hier Modernes mit Vintage mischen könne. Digitale Workflows am Computer werden mit analogen Prozessen verbunden. Darin kennt sich vor allem Gyso Hilger aus. Sein analoges Equipment ermöglicht ein Mastering, welches man „zu Hause am Laptop halt nicht machen kann“, wie er erklärt. Anders könne dieser Sound nicht erreicht werden: „Damit kriegt man einfach eine ganz andere Tiefe rein.“ Nektarium Music zog letztes Jahr nur von ein paar Hundert Meter Luftlinie aus in die neue Heimat in der Landwehrstraße. Zuvor teilte sich Gyso rund 15 Jahre lang eine Studiogemeinschaft mit den Iron Bar Studios und dem Lofthaus Tonstudio auf dem Goebel-Gelände in der Nähe des Hauptbahnhofs.
Fokus auf Mastering
Zwar steht der Fokus von Nektarium auf Mastering, doch ergibt sich gelegentlich auch die ein oder andere komplette Musikproduktion. Dazu kam es etwa bei Gwen Dolyn oder Metty, beides (ursprünglich) lokale Künstlerinnen. Generell arbeitet Nektarium viel mit Musiker:innen aus dem Rhein-Main-Gebiet und speziell Darmstadt zusammen. In letzter Zeit waren das etwa Mastering-Arbeiten für die Baba Shrimp Gang oder Electric Horseman (beides bekannte Darmstädter Bands). Viele regionale Kontakte sammelte Hilger außerdem als Dozent am Abbey Road Institute in Frankfurt. Über die Zeit stellte er sich ein beachtliches Equipment zusammen: Viele der analogen Synthesizer, EQs und Kompressoren aus seinem neuen Regieraum in Darmstadt kennen jüngere Musikproduzierende vermutlich nur noch als Plug-ins.
Wie Raum-103-Partner Paul Raum erklärt, stelle man mit diesem ganzen technischen Equipment sicher, dass die Grundqualität des Sounds stimme. „Deswegen können wir umso mehr Wert auf den künstlerischen Aspekt und das Miteinander legen“, erklärt er. Raum gehört zum bis zu fünf Personen starken Kernteam der Studiogemeinschaft. Hinzu kommen eine Handvoll Freelancer sowie ein bis zwei Praktikant:innen. Wie viele Mitarbeitende gerade gebraucht werden, hängt immer davon ab, wie umfassend eine Produktion ist – und wie viele Projekte gleichzeitig laufen. „Technik darf man nicht spüren“, meint auch Christoph Paulssen. Es sei zudem ein Privileg, dass man mit der Arbeit nicht nur sich, sondern auch die Künstler:innen glücklich mache. Gyso Hilger ergänzt, dass neben der Abwechslung der ständig neuen Projekte vor allem die Kommunikation mit den Musiker:innen Spaß mache. „Dass die Produktion am Ende so wird, dass es ihnen zu 100 Prozent gefällt, es zu ihnen passt und sie auch dahinterstehen können“, meint er. Gerade beim Mastering, dem letzten Glied in der Kette der Musikproduktion, sei dieser Aspekt wichtig wegen all der Ideen und Arbeit, die bereits in die Musik geflossen seien.
Mannigfaltige Aufträge
Arbeit gibt es für das Studiokollektiv immer reichlich. Vor Kurzem erst hat die argentinische Pianistin Carmen Piazzini am Steinway-Konzertflügel ein Brahms-Frühwerk eingespielt, nebenbei werden Liveaufnahmen der Leverkusener Jazztage neu gemischt, eine Musikerin aus der Mannheimer Pop Akademie war just für eine Writing Session im Studio und demnächst kommt ein DJ zum Recording ins Studio. Das aktuellste Projekt von Gyso Hilger ist das Album-Mixing einer vietnamesischen Band mit Musik zwischen Soul und Sixties Rock. Vor allem stehen aber wieder Arbeiten für die TV-Show „Dein Song“ an: Seit Serienbeginn im Jahr 2008 ist Christoph Paulssen fast durchgehend für die Musikproduktionen der ZDF-/„KiKa“-Sendung verantwortlich. In dem Zuge habe er etwa mit Tim Kamrad, Ben Zucker oder Till Brönner zusammengearbeitet. Besonders im Kopf behalten habe er in seiner Laufbahn als Producer und Toningenieur aber eine Session mit Manu Katché (unter anderem Schlagzeuger von Sting), David Orlowsky, Daniel Stelter und Tommy Baldu. Und auch die Zusammenarbeit mit Max Mutzke sei gesanglich ein Highlight gewesen. „Und Lotte und Nils Landgren noch“, wirft Paul Raum ein. „Oh ja, großes Ding!“, stimmt Paulssen zu. „Aber es ist auch immer noch viel schöner, was morgen kommt …“ Und da habe man schon so einige interessante Dinge in der Pipeline.
Klangspuren-Steckbrief
Wer? Gyso Hilger (Nektarium Music) und Christoph Paulssen (Raum 103)
Fokus? Recording, Filmvertonung, analoges Mastering
Besonderheiten? „Steinway“-Konzertflügel D-274, Dolby-Atmos-System, 80 Quadratmeter Aufnahmeraum, analoges Outboard (Mischpulte und Effektgeräte)
Wen aufgenommen? unter anderem Gwen Dolyn, Metty, Rooki, Lotte, Nils Landgren, Max Mutzke
Kontakt und Website? … auch mit allerlei Infos zum Equipment für alle Technik-Nerds:
Nektarium: studio@nektarium.de und (0176) 81143615, nektarium.de
Raum 103: team@raum103.de und (06151) 1308600, raum103.de