Kurz war sie, die Winterpause. Lediglich zwölf Tage Zeit hatten die Lilien-Profis, um zwischen den Jahren zu entspannen, dann begann schon wieder die Vorbereitung für die zweite Saisonhälfte. Mit der ersten Halbserie durften die 98er nach holprigem Saisonstart zufrieden sein. Schließlich kam das runderneuerte Team immer besser in Form. Der Grund? Gerade für die Medien keine Frage: Natürlich der neue Coach Florian Kohfeldt. Doch dem Hochgelobten ist das ganze Bohei um ihn nicht geheuer. Zu Recht!
Fußball ist ein Ergebnissport. Deshalb können einem als Fan Niederlagen schon mal das Wochenende versauen, während Siege einen zumeist völlig beseelt aus dem Stadion gehen lassen. Das zeigt zugleich: Der Fußball lebt sehr stark im Hier und Jetzt. War man in einer Spielwoche noch mies drauf, so kann das darauffolgende Wochenende die Gemütslage schon wieder völlig ins Lot bringen. Als Fan schwebt man folglich immer ein wenig zwischen den Extremen.
Der Turnaround
Ende 2024 hatten die Anhänger des SVD allerdings wenig Grund, schlecht gelaunt zu sein. Und das, obwohl die Lilien nach einem wahren annus horribilis auch den Start in die neue Saison verpatzt hatten. Noch Anfang September schien es so, als ob die Abwärtsspirale einfach kein Ende nehmen wolle. Die Schwarzmaler behielten hartnäckig die Oberhand. Mitte Dezember sah alles jedoch schon wieder völlig anders aus. Die 98er überwinterten zwar „nur“ auf dem zehnten Tabellenrang, verorteten sich punktetechnisch aber deutlich näher an der Tabellenspitze als im Tabellenkeller.
Der X-Faktor
Was war geschehen? Nun, ein Wechsel an der Spitze des Trainerteams half die Mannschaft zu stabilisieren. Dabei war rund um die Verpflichtung von Chefcoach Florian Kohfeldt die Skepsis groß, ob das mit ihm denn gut funktionieren würde. Unter den Fans – erst recht in den sozialen Medien und auch medial – wurde vor allem auf die mal so vielversprechend gestartete Trainerkarriere des Norddeutschen verwiesen, die dann in Bremen, Wolfsburg und Belgien in den Sinkflug übergegangen war. Ein Trainer, der ehedem zu Höherem berufen war, schien bei den strauchelnden Lilien in der 2. Bundesliga um seine letzte Chance zu kämpfen. Wenn dem so war, dann ergriff er sie beherzt. Gemeinsam mit seinem Trainerteam gelang ihm der Turnaround in Darmstadt. Schon nach wenigen Wochen erntete er erste positive Kritiken. Denn „Flo-Ko“ stabilisierte nicht – wie es vielen leid-/gegentoregeplagten Lilienfans wichtig gewesen wäre – in erster Linie die wackelige Defensive. Er impfte der Mannschaft die Überzeugung ein, dass Angriff irgendwie doch die beste Verteidigung sei. Kohfeldt will Fußball spielen lassen. 34:19 Tore und 23 Punkte aus 13 Spielen sprechen klar für sein Coaching und die Art, wie er das Team erreicht, ein- und aufstellt.
Die Märchenstory
Dieser für Fans, Verein und Spieler wohltuende Lauf führte zu den erwartbaren Reflexen. Gerade medial schwoll der Lobgesang auf Kohfeldt im Verlauf der Vorrunde zu einer wahren Lobhudelei an. Das Team sammelte Punkt um Punkt, spielte attraktiven Fußball, Kantersiege inklusive. Rasch wurde die „Kohfeldt-Tabelle“ aufgerufen, um Woche für Woche zu belegen, dass der neue Coach in Darmstadt doch in Wahrheit ein Spitzenteam anleitete. Schlagartig wurde alles strahlend weiß gezeichnet. Es wirkte fast schon so, als ob der SVD von den Totgesagten auferstanden wäre. Viele (Sport-)Berichterstatter brachten den Hypetrain ins Rollen oder sprangen nur zu bereitwillig auf. Klar, es ist ja auch eine tolle Story. Da trifft ein strauchelndes Team auf einen Coach, dem niemand mehr etwas zugetraut hätte, und zack: Schon läuft es entgegen allen Unkenrufen hervorragend. A fairytale comes true.
Mehr Ausgewogenheit
Aber gemach, gemach. Kohfeldt ließ rasch durchblicken, dass ihm das alles suspekt sei. Schon im November versuchte er gegenzusteuern. Ihm missfiel, dass sich die Berichterstattung auf ihn fokussiere. Er machte klar, dass die Ergebnisse in erster Linie ein Verdienst der Spieler seien und im nächsten Schritt des Teams hinter dem Team. Dieses umfasst am Bölle inzwischen gut und gerne zehn Trainer und Analysten. Gerade in dieser zweiten Reihe gab es im Sommer ein paar neue Gesichter, die ihren Beitrag zum Umschwung beigetragen haben dürften. Kohfeldt bemängelte ganz grundsätzlich Einordnungen in der Berichterstattung, die nur ein „ganz oben“ oder ein „ganz unten“ kennen. „Ich würde mir wünschen, dass es auch etwas mehr Grau gäbe.“ Da hat er wohl recht. Schließlich weiß er aus eigener Erfahrung, wie jäh und tief der Absturz ist, wenn man zuvor zu sehr in den Himmel gehoben wurde. Kohfeldt tut gut daran, den Hypetrain nicht zusätzlich zu befeuern.
Es würde der Berichterstattung gut zu Gesicht stehen, nicht gleich alles zu pushen, sondern eine gewisse kritische Distanz zu wahren. Dass es bei den Lilien im letzten Quartal sportlich hervorragend lief, ist unstrittig. Dennoch tut sich das Team bislang gegen tiefstehende Kontrahenten schwer. Und es bekommt auch die Quittung, wenn es – wie beim Ligaletzten Regensburg – nicht die notwendige Intensität auf den Rasen bekommt. Ohne diese Punkte jetzt überzubetonen, zeigen sie eben aber auch, dass nicht alles blütenweiß ist. Fußball ist Tagesgeschäft und sollten die Kohfeldt-Lilien mal von den Gegnern entschlüsselt werden, dann wird sich zeigen, ob die Lobgesänge weiterhin angestimmt werden. Halten wir ganz im Sinne „Flo-Kos“ stattdessen also einfach fest: Die 98er, sie haben sich unter ihm Ende 2024 strahlend grau präsentiert.
Geht der Aufschwung weiter?
Fr, 31.1., 18.30 Uhr: 1. FC Nürnberg – SV Darmstadt 98
Sa, 8.2., 13 Uhr: SV Darmstadt 98 – SV 07 Elversberg
Sa, 15.2., 13 Uhr: Eintracht Braunschweig – SV Darmstadt 98
So, 23.2., 13.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – Schalke 04
Matthias und der Kickschuh
Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Zudem führt er seit einigen Jahren Interviews für den „Lilienkurier“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!