Foto: So isst Darmstadt!
Foto: So isst Darmstadt!

Unser Lebensstil ändert sich von fast zu slow, vom schnellen Massenkonsum zum bewussten Einkaufen – viele neue Projekte betonen diesen Wandel, auch in Darmstadt. Der 44-jährigen Anja Dötsch etwa geht es darum, wie wir einkaufen und essen. Wer in ihren Laden „Vrau Dötsch“ kommt, soll dort automatisch einen Gang runter schalten: „slow shopping“ eben. Das Geschäft, dessen Name nicht einer Rechtschreibschwäche entsprungen ist, bietet vegane und regionale Produkte. Das „V“ steht für „Vegan“ und dafür, dass es hier ausschließlich „Vurst“ gibt.

[Anm. d. Red.: Leider schließt Anja Dötsch ihren Laden zum 25.10.14 aufgrund von stark rückläufigen Umsätzen. Das Interview wurde wenige Wochen vor Anjas Entschluss, „Vrau Dötsch“ aufzugeben, geführt.]

 

Was genau ist die Philosophie von „Vrau Dötsch“?

Erst einmal: das vegane Thema den Menschen näher zu bringen – zu zeigen, dass man als Veganer nicht nur an einem grünen Möhrchen kaut und unterernährt ist. Auch denen, die damit nichts anfangen können oder sich damit noch nicht beschäftigt haben. Viele sind einfach verängstigt oder verunsichert, weil es ihnen kompliziert erscheint. Ich will ihnen die Angst davor nehmen oder zumindest die Hemmschwelle ein bisschen senken.

Und das alles in einem langsamen Tempo. Warum slow shopping – und was heißt das?

Ich bin der Meinung, dass wir viel zu schnelllebig unsere Wege gehen. Familie und gemeinsames Essen zählen immer weniger. Überhaupt ist die Esskultur völlig flöten gegangen. Oft hetzt man in klassischen Discountern durch die Gänge und wirft irgendwas in den Einkaufswagen. An der Kasse immer „zack, zack, zack“ … alles schneller, schneller, schneller. Keine Zeit mehr für Gespräche und Beratung, das bleibt auf der Strecke. Das ist etwas, das ich hier nicht haben möchte. Ich habe viele Kunden, die zum Plauschen kommen und einen Kaffee trinken. Es sind viele dabei, mit denen man zum „Du“ übergegangen ist. Dadurch sind auch schon tiefgründige Freundschaften entstanden.

Wer kauft in Deinem Laden ein?

Hier kommen die Girlies rein, die sich irgendeinen Schokoriegel holen. Aber auch die Menschen aus dem Viertel, die mit veganer Ernährung gar nichts zu tun haben. Vegetarier, Veganer, Bioladen-Kunden, Discounter-Kunden – mein Kundenkreis ist bunt gemischt.

Lebst Du selbst auch vegan?

Seit drei Jahren ernähre ich mich nicht nur vegan, sondern lebe vegan. Dazu gehört für mich mehr als nur die Ernährung. Natürlich steht im Vordergrund, nichts zu konsumieren, was den Tieren gehört. Aber einfach auch zu schauen: Wie sind die Arbeitsbedingungen für die Menschen, die unsere Produkte herstellen? Brauchen wir unbedingt Produkte aus China, die dort billig hergestellt werden und für die Menschen ausgebeutet werden? Oder gibt es Produkte, die man hier vor Ort kaufen kann? Der Grund, warum ich vegan lebe, ist der gesamte Lebenszyklus. Einfach ein bisschen sorgfältiger mit den Ressourcen umzugehen, denn wir haben nur diese eine Welt, und wir machen sie systematisch kaputt.

Veganismus, ist das nur ein aktueller Trend oder doch eine Art Revolution – hin zu einem bewussten und gesunden Lebensstil?

Beides! Seit ein bis zwei Jahren ist es definitiv ein Trend geworden. Trends gehen zwar irgendwann zu Ende, aber ich glaube auch, dass davon immer etwas an Einfluss übrig bleibt, selbst wenn der Hype abnimmt. Und ich denke schon, dass wir auf dem Weg zu einer kleinen Revolution sind.

Dennoch bleibt der Eindruck, dass Veganer auf vieles verzichten. Auch auf Lebensfreude?

Es ist Lebensfreude pur! Veganismus schränkt die Menschen nicht in ihrem Genuss ein. Veganer sind keine Kostverächter – im Gegenteil. Sie verzichten halt nur auf eines: Tierleid!

Sind Veganer die besseren Menschen?

Nein, würde ich nicht sagen. Ich kann auch ein krimineller Veganer sein, deswegen bin ich nicht besser als ein fleischessender Krimineller. Jeder ist auf seine Art und Weise gut.

Welche Risiken bringt vegane Ernährungsweise Deiner Meinung nach mit sich?

Das Einzige, was Veganer ergänzend nehmen sollten, ist Vitamin B12. Es gibt keine Mangelerscheinung, wenn sie sich ausgewogen ernähren und auf ihre Ernährung achten. Das ist bei der konventionellen Ernährung genauso.

Du gehst die Dinge offenbar sehr bewusst an. Woher kommen die Lebensmittel in Deinen Regalen?

Ich versuche, möglichst viele Produkte aus der Region zu bekommen. Dabei versuche ich auch möglichst kleine Manufakturen ein bisschen zu unterstützen. Das ist mein erster Ansatz. Der zweite Ansatz ist, dass die Produkte aus Deutschland kommen sollten. Der dritte, dass sie zumindest aus Europa kommen sollten. Nur was gar nicht anders geht, kommt aus Übersee. Zum Beispiel Bananen.

Wie schätzt Du das Ernährungsverhalten der Darmstädter ein?

Es kommt ein bisschen auf den jeweiligen Stadtteil an. Es gibt bestimmte Stadtteile, die eher auf Fast Food aus sind. Es gibt aber auch einige Viertel wie das Johannesviertel, Martinsviertel oder Bessungen, in denen die Menschen ein bisschen bewusster leben. Es kommt natürlich auch drauf an, wie viel Angebot man hat. Ich würde sagen, noch ist die Ernährungsweise der Darmstädter zu unbewusst und zu ungesund. Aber das ändert sich gerade.

Wird Dein Konzept von den Darmstädtern angenommen?

Ich glaube schon. Viele erkennen die Notwendigkeit. Sie erkennen, dass wir einen Schritt in unserem allgemeinen Konsumverhalten zurück gehen müssen. Es geht nicht anders. Dass alles immer billiger werden soll, geht irgendwann auf unsere eigenen Kosten.

Zum Stichwort Preise: Auch Biowaren werden billiger, kann sich da ein kleiner Laden gegen den Druck von Konzernen wie Alnatura und Tegut behaupten?

Das sind große Wettbewerber, definitiv. Man muss aber dazu sagen, dass es nicht mein Anliegen ist, mit diesem Laden einen riesig großen Verdienst zu machen, sondern meine Belange nach außen zu transportieren. Aber klar muss ich mich irgendwie abheben von den Großen. Ich versuche, kleinere Produkte rein zu nehmen, von denen ich weiß, dass es sie dort nicht zu kaufen gibt. Was mich auch von diesen Läden abhebt, ist das rein vegane Sortiment.

Willst Du selbst in Zukunft wachsen und eventuell weitere Läden aufmachen?

Mein Ziel ist jetzt erst erstmal, Darmstadt ein bisschen in die vegane Richtung zu pushen. Expandieren liegt mir eigentlich nicht so. Je größer man wird, umso mehr weicht man von seinem eigentlichen Ziel ab. Ich glaube nicht, dass ich meine Werte und meine Philosophie mit drei Läden so transportieren könnte. Irgendwas bleibt dann immer auf der Strecke.

 

Interview: Lisa Mann, Jessica Sobetzko + Dorothea Wagner-Maroti 
(Teilnehmerinnen am Semesterprojekt „So isst Darmstadt!“ an der Hochschule Darmstadt, Studiengang Onlinejournalismus in Kooperation mit dem P Stadtkulturmagazin)

 

Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

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