Foto: Nouki

Drei Spieltage vor Saisonende war für die 98er der Klassenerhalt fix. So hatten die Lilien vergleichsweise früh Planungssicherheit, dass auch in der kommenden Spielzeit wieder Zweitligafußball am Bölle gespielt wird. Das Minimalziel war also erreicht. Doch wie ist die Saison in der Rückschau zu bewerten? Und was muss sich ändern?

Wer auf die nüchternen Zahlen blickt, der registriert schnell, dass der SVD eine schwierige Saison hinter sich hat. An keinem einzigen Spieltag rangierte das Team auf einem einstelligen Tabellenplatz. Platz 12 bedeutet letztlich die schlechteste Abschlussplatzierung seit der Rückkehr in die 2. Bundesliga 2014. Dass große Namen wie Schalke 04 und Hertha BSC zu den Tabellennachbarn zählen, zeigt zugleich, dass die 98er in guter Gesellschaft sind. Der geglückte Klassenerhalt ist letztlich gleichbedeutend mit dem Erreichen des absoluten Minimalziels. Ein Blick in obere Tabellenregionen hatte sich nach dem schlechten Start in die Rückrunde verboten. Zu langanhaltend reihten sich miese Ergebnisse aneinander. Dabei schien es zur Winterpause so, als habe sich die Mannschaft nach dem Fehlstart unter Torsten Lieberknecht stabilisiert und könne mit dem neuen Coach Florian Kohfeldt in der Rückrunde angreifen. Dass der starke Lauf mit einigen Kantersiegen im Herbst nach dem Jahreswechsel nicht fortgesetzt werden konnte, irritierte Fans und Medien gleichermaßen. Selbst in Anbetracht von Langzeitverletzungen einiger Leistungsträger riefen die Lilien ihr Potenzial letzten Endes nur unzureichend ab, sodass es alles in allem eine unbefriedigende Saison bleibt.

Lernen, worauf es ankommt

In der zweiten Saisonhälfte holten die 98er nur knapp einen Punkt pro Spiel. Die Bilanz eines Absteigers. Dabei fielen die Siege unter Kohfeldt zunächst wie reife Früchte von den Bäumen. Doch ab Januar musste sich das Team jeden seiner wenigen Drei-Punkte-Erfolge mühsam erarbeiten. Es wirkte gar so, als ob es erst wieder lernen musste, wie man gewinnt. Und damit wären wir bei einem der Schlagwörter der Saison: das Lernen. Keeper Marcel Schuhen betonte im jüngsten Interview für den „Lilienkurier“ [mit dem Autor auch dieser Zeilen hier] immer wieder, wie wichtig das Lernen für das neuformierte Team der Lilien gewesen sei. Viele neue Spieler hätten die 2. Bundesliga demnach nicht gekannt. Sie mussten sich erst aneignen, worauf es in der mit Großklubs gespickten Spielklasse ankomme. Zudem stünden einige Spieler noch am Anfang ihrer Karriere und waren durch die Verletzungen mehrerer Leistungsträger frühzeitig gefordert, in die Bresche zu springen. Gerade als Goalgetter Isac Lidberg länger ausfiel, sei es laut Schuhen darum gegangen, die Situation neu einschätzen und annehmen zu können. Doch bei all dem Lernen sei es darauf angekommen, kein Lehrgeld zu zahlen, sondern zu punkten.

Etwas, das nach der Winterpause nur leidlich funktionierte. Sieben Niederlagen aus den ersten zehn Spielen ließen die Abstiegszone gefährlich nahekommen. Dabei waren die Niederlagen zumeist knapp. Die Mannschaft hielt mit, schaffte es aber regelmäßig nicht, die Spiele auf ihre Seite zu ziehen. Weder gegen Spitzenteams, noch gegen Kellerkinder. Für Schuhen ein Indiz, dass die Lilien gegen Gegner, die um ihre Existenz kämpften, lernen mussten, worauf es in solchen Situationen ankomme. Denn gegen diese bekomme man genauso wie in der Crunchtime einer Spielzeit nichts geschenkt. Jeder Spieler müsse sich in solchen Spielen aneignen, gegen Widerstände zu bestehen. Letztlich müsse jedem immer klar sein, dass es beim Fußball im Endeffekt ums Gewinnen gehe. Das habe auch Kohfeldt seinem Team vor jedem Spiel als letzte Message mitgegeben.

Verantwortung für die entscheidenden Situationen

Was sich so banal anhört, trifft letztlich den Wesenskern des Fußballs. Als es im Herbst plötzlich wie von selbst lief, da war das Momentum auf der Seite der Lilien, alles fiel leicht. Als es in der Rückrunde gar nicht mehr lief, da forderte Kohfeldt in Pressekonferenzen immer häufiger von seinem Team, verantwortungsvoll aufzutreten. Und damit wären wir beim zweiten Kernbegriff der Saison: Verantwortung. Kohfeldt nahm in dieser Hinsicht explizit die Offensive in die Pflicht. Sie müsse die wenigen Chancen konsequenter angehen und letztlich verwerten. In über 20 Spielen erzielten die 98er ein oder gar kein Tor. Niederlagen oder Punkteteilungen waren damit programmiert, denn die Defensive kassierte in rund 30 Spielen mindestens ein Gegentor. Schuhen schlug deshalb in dieselbe Kerbe wie sein Coach: „Wenn du Räume und Chancen kriegst, dann musst du sie nutzen. Diese Verantwortung für die entscheidenden Situationen brauchen wir hinten wie vorne.“ Etwas, das in der Aufstiegssaison vor zwei Jahren gegeben war. Da hatte der SVD jedoch fast durchweg gestandene Profis in der Startelf, die laut Schuhen wussten: Wenn sie in jener Saison nicht durchziehen, dann würde eine solche Chance wohl nie wieder kommen. Dieses Jahr ging es darum, die Abstiegszone auf Distanz zu halten. Die Heimspiele im März und April sicherten am Ende den Klassenerhalt. Doch selbst danach blieb das Thema „Verantwortung“ präsent. Etwa, als am vorletzten Spieltag in Kaiserslautern zwar auch der Schiedsrichter und der VAR einen Anteil an der 1:2-Niederlage hatten. Die Lilien hätten das Spiel gegen immer defensivere Pfälzer aber auch so auf ihre Seite ziehen können, wenn nicht gar müssen. Sie agierten im Offensivspiel jedoch schlichtweg zu schlampig und ineffizient im Ausspielen ihrer Chancen. Auch hier ließ das Team wichtige Prozentpunkte bei der Verantwortung liegen.

Rückschläge abstellen, mehr Resilienz und mehr Balance

Der SVD hat in dieser Saison gezeigt, dass er mithalten kann, dass er imstande ist, jeden Gegner zu schlagen. Er lief aber auch Gefahr, von fast jedem Kontrahenten geknackt zu werden. Diese Rückschläge abzustellen, resilienter zu sein, mehr Balance ins Spiel zu bekommen, das werden die großen Aufgaben in den kommenden Monaten sein. Auch dabei wird es darauf ankommen, schnell zu lernen und verantwortungsvoll aufzutreten. Gerade in einer weiterhin ausgeglichenen Liga. Und erst recht, wenn es wieder gilt, neue Spieler zu integrieren, die womöglich die 2. Bundesliga nicht kennen. Zudem müssen potenzielle Stammkräfte wie Fabi Holland, Matze Bader und Paul Will nach langen Verletzungen erst wieder Fuß fassen. Und ob die Offensive mit Lidberg, Fraser Hornby und Kilian Corredor in der Form erhalten bleibt, ist bei ihren zusammengerechnet über 30 Treffern anzuzweifeln. Insbesondere Lidberg dürfte beim Erscheinen dieses P-Magazins schon auf gepackten Koffern sitzen, um anderswo hinzuzulernen und Verantwortung zu übernehmen.

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Zudem führt er seit einigen Jahren Interviews für den „Lilienkurier“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog