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Foto: Jan Ehlers

 

In unserer Reihe über die organisierte Fanszene am Bölle haben wir uns diesmal drei „Sharps“ zum Interview geholt: Ché, Paddy und Wuschel, die als Skinheads Teil der antifaschistischen und antirassistischen SHARP-Bewegung sind. Sie haben daher eine dezidierte Meinung zur teils umstrittenen Thematik „Politik im Stadion“. Aber „normale“ Fußballthemen wurden natürlich ebenso emotional und grobhumorig besprochen. Freude und Zweifel über den Status quo hielten sich dabei die Waage.

Seit wann seid Ihr Lilien-Fans?

Wuschel: Das erste Mal war ich so um 1988 rum am Bölle. Wirklich Lilien-Fan wurde ich aber erst 2008. Vorher war ich nur St.-Pauli-Fan, aber nach Verkündung der drohenden Insolvenz der 98er wollte ich mich solidarisch zeigen und wurde so erst zum richtigen Fan.

Ché: In der ersten Bundesligasaison 1978/79 war ich erstmals da, aber erst ab der Oberligazeit Mitte der 2000er dann regelmäßig. Das wirkte damals zwar oft wie Schulhofgekicke, war aber auch lustig mit all den Leuten – und viel Bier.

Paddy: Bei mir war es 1980. Im Kinderwagen, erst ein paar Monate alt… [lächelt] Es gibt ein Foto davon, daher weiß ich das. Seitdem war ich eigentlich fast durchgehend am Bölle.

 

Wuschel steht im F-Block auf der Tribüne bei den Ultras, Ché und Paddy in einer großen Gruppe auf der Gegengeraden. Zu welcher Gruppierung zählt Ihr Euch da?

P: 1997 stehen wir als FFA-Gruppe [„Fußball, Ficken, Alkohol“, Anm. d. Red.] mit derzeit um die 40 Personen ganz oben auf der Gegengeraden. Damit meine ich dann auch die ganzen Sharps und die linkspolitischen Çarşı-Leute [Darmstädter Fans von Besiktas Istanbul], mit denen wir ganz dicke sind.

FFA als Fangruppe ist ja wirklich schon lange aktiv.

P: Wir kamen fast alle aus der Punkszene rund um die Oetinger Villa. Als wir 1997 als FFA begannen, haben wir uns neben den Lilienfans gegen Rechts auch bewusst offen als antifaschistisch und antirassistisch gezeigt. Wir brachten damals, 1999 war das, auch das „Brutal“-Fanzine raus, sieben Ausgaben mit Punkrock, Fußball und Politik als Themen. Gab da auch echt bundesweit gutes Feedback. Zum 10-Jährigen von FFA gab es 2007 noch mal eine Jubiläumsausgabe.

C [zwinkert]: Dann wäre ja 2017 wieder eine fällig.

 

Ihr seid schon seit den vermeintlich „harten“ Jahren in unteren Ligen als Fans dabei. Was haltet Ihr vom großen Business rund um die Bundesliga und den Fans, die erst mit der Erfolgswelle ins Bölle schwappten?

C: Ich bin da ja überhaupt nicht kritisch.

P [lästert]: Kein Wunder, bist ja parallel auch Manchester-United-Fan! Bist also Kommerz gewohnt.

C: Du Fischkopp. Willkommen im Profi-Fußball! Wir haben Erfolg, dann muss man auch mit ein paar Sachen leben. Ich finde es geil, dass unser Stadion immer ausverkauft ist. Natürlich sind dadurch auch mehr Deppen am Start, vor allem vermehrt rassistische Sprücheklopfer. Aber da hat man dann ein Auge drauf und weist die gemeinsam in ihre Schranken … [überlegt kurz und räuspert sich] verbal natürlich. Man kriegt dann auch viel Zustimmung der Umstehenden. Das zeigt also, dass solche Deppen bei uns eher die Ausnahmen sind. Man muss aber eben jedes Mal darauf reagieren. Null Toleranz bei dem Thema, sonst grassiert das wieder.

P: Die organisierte Fan-Szene ist bei uns eigentlich ganz klar antirassistisch, aber insgesamt ist das Publikum sicher ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und da haben wir hier ja auch mehr als zehn Prozent AfD-Wähler. Ansonsten bin ich selbst eher Fußball-Romantiker. Aber man kann heute nur schwer mit den früheren Zeiten vergleichen. Irgendwann werden wir da auch wieder landen. Und dann werde ich auch dabei sein: in guten wie in schlechten Zeiten. Mal sehen, wer dann noch so alles übrig bleibt.

C: Es ist doch trotzdem auch jetzt romantisch. Wer hätte früher dran geglaubt, dass wir mal wieder Erste Liga spielen.

P: Du und Romantik. Hör mir uff. [schmunzelt] Ich freue mich ja auch wie ein kleiner Junge über so Auswärtsspiele wie das 2:1 in Hamburg. Das kann uns keiner mehr nehmen.

W: Ich bin da auch gespalten. Mir geht vieles auf den Keks. Aber es ist jetzt so – und auch okay. Ich hätte es damals sogar gerechter gefunden, wenn nach der Insolvenz von Kickers Offenbach eine Mannschaft aus der 4. Liga hätte aufsteigen dürfen. Der Verbleib in der Dritten Liga am Grünen Tisch fühlte sich komisch an. Heute äh [grinst] … bin ich ganz froh, dass dem nicht so war.

Ja, genau, sonst hätte es kein Bielefeld gegeben …

C [reibt sich ergriffen die Augen]: Oh Mann, ich muss schon wieder heulen … wir waren nämlich alle wirklich in Bielefeld – im Gegensatz zu kleinen, bequemen P-„Journalisten“.

[trotzig] Wie waren dafür später im Tunnel und Ihr nicht! … Wir seht Ihr eigentlich die noch relativ neue Fan-Szene der Ultras?

P: Ich freue mich erst mal, dass die wie wir auch klare Statements gegen Rassismus abgeben. Die Leute, die immer schreien, Politik gehöre nicht ins Stadion, tolerieren damit indirekt rassistische Sprücheklopfer, gegen die wir klare Kante zeigen. Die Rechten haben nämlich eigentlich damit angefangen, ihren Rassismus, der ganz klar politisch ist, ins Stadion zu tragen. Wir reagieren darauf angemessen. Also das finde ich super bei den neuen Ultras … [ironisch] Insgesamt ist mir die gesamte Bewegung aber manchmal etwas zu viel jugendliche Pfadfinderei beim Fußball. Hui, das gibt Ärger.

C: Die sind alle sympathisch, definitiv. Aber gerade die permanente Gesangsbeschallung nervt mich arg. Wir sind da eher vom englischen Fußball geprägt, wo situationsbedingt mit Gesängen oder Sprechchören reagiert wird. Auch die permanenten Fahnenschwenker, die vor allem bei Auswärtsspielen das gesamte Blickfeld zuwedeln, müssen da echt anders agieren. Entweder die stellen sich nach ganz oben, was sicher auch cool aussieht und wo sie keinem die Sicht versperren, oder sie wedeln eben nur bei Toren. Aber man muss ebenso auch zugeben, dass auf der Gegengerade selbst viel zu wenig Stimmung gemacht wird.

W [überlegt]: Ich stehe ja im 1898-Block, bin dort Mitglied und sehe dadurch einiges anders und vielleicht entspannter, denke aber – bei aller Kritik – dass wir auch hier in vielen Dingen den uns eigenen „Darmstädter Weg“ gehen und damit gar nicht so falsch liegen.

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Foto: Jan Ehlers

Im Januar gab es die dramatische Situation im Stadion, als Du, Wuschel, im F-Block kollabiertest. Wir wollen das hier bewusst nicht vertiefen, nur die Frage: Alles gut überstanden? Außerdem bist Du vor Kurzem von Deinem Amt bei der FuFa [Fan- und Förderabteilung] zurückgetreten. Willst Du dazu noch was sagen?

W: Gesundheitlich geht es mir wieder gut. Das reicht als Info. Zum Rücktritt habe ich auch eigentlich alles geschrieben. Es gab Gründe und mir hat nicht alles gepasst, aber ich will das auch nicht überbewerten und öffentlich breittreten. Wer mehr wissen will, soll mich direkt fragen.

 

Wir können das Thema abschließend leider nicht völlig aussparen: Mal kurz Eure Meinung zur Diskussion ums Stadion.

W: Kurz? Hast Du Zeit bis morgen früh? Das totale Konzept gibt es nicht. Ich liebe dieses Stadion, aber wir haben ja auch früher zu Regionalzeiten schon immer viel Geld – bis zu 1,5 Millionen pro Saison – für die reine Instandhaltung zahlen müssen. Das summiert sich ja über die Jahre und ist letztlich vergeudetes Geld. Wenn man da jetzt einmal was richtig Dauerhaftes hätte, wäre das sinnvoll investiert. Das Bölle so umgestalten wie in St. Pauli – mit getrennten Tribünen und ohne Laufbahnen, das wäre mein Traum.

P: Das Stadion ist so, wie es ist, einfach geil. Die ganzen Auswärts-Fans kommen ja extra, um dieses Relikt zu sehen. Und jeder schwärmt danach. Zumindest wirkliche Fußball-Fans, also nicht so Eventies.

C: Ein anderer Standort für das Stadion würde mir echt Schmerzen bereiten. Am liebsten so bleiben, wie es ist. Nur kleines Dach über der Gegengerade, weil ich in meinen Lebzeiten echt genug im Regen gestanden habe.

Na ja, nasse Haare sind ja nicht so das Problem bei Skinheads.

C [lacht]: Ich glaube, Du willst heute noch aufs Maul.

Es war ja mal genau so ein Dach über zumindest den oberen Rängen der Gegengerade geplant …

C: Genau mein Ding. Da wird das Bier auch nicht nass.

Bier ist aber grundsätzlich nass. Sonst könnte man es ja essen.

C: Du legst es echt drauf an. Ach ja, mehr Toiletten fände ich auch dufte.

Ist in Planung. Im Winter sogar mit beheizten Klobrillen.

C [reißt die Augen auf]: ECHT?

Nein.

C: Arsch.

Schönes Abschlusswort. Danke für das Interview.

 

SHARP: Skinheads Against Racial Prejudice (Skinheads gegen rassistische Vorurteile)

Einem der größten kulturellen Missverständnisse unterliegt die Skinhead-Bewegung, wenn sie in der rechten Ecke verortet wird. Dabei ist sie genuin antirassistisch: Sie wurzelt in der Arbeiterklasse, ging ursprünglich von der Mod-Bewegung (Bands wie The Who) im England der 1960er aus, die sich durch die Rude-Boys-Bewegung und Musik jamaikanischer Einwanderer inspirieren ließ. Die frühen Skinheads hörten alle schwarze Musik. Erst durch den zunehmenden Einfluss der National Front (Nazi-Partei in England) in den Arbeitervierteln spaltete sich die Szene in den 1970ern in linke, antirassistische (Sharp-/Rash-/Red-) Skins, zumeist unpolitische Oi-Skins und rechtes Gesocks (Fascho-Skins/Nazi-Glatzen). In Deutschland (auch in Darmstadt!) gibt es eine große antirassistische Sharp-Skinszene, die vor allem alte Ska- und Punk-Musik hört.

www.facebook.com/SHARP.Darmstadt

 

Punkte hamstern gegen den Abstieg!

Sa, 01.10., 15.30 Uhr: SVD – Werder Bremen

So, 16.10., 15.30 Uhr: 1. FSV Mainz 05 – SVD

Sa, 22.10., 15.30 Uhr: SVD – VfL Wolfsburg

Mi, 26.10., 18.30 Uhr: FC Astoria Walldorf – SVD (DFB-Pokal, 2. Runde)

Sa, 29.10., 15.30 Uhr: SVD – RB Leipzig

www.sv98.de