Foto: Jan Ehlers

Digga Ras gilt als Urgestein der Darmstädter HipHop-Szene. 2003 hat er die Darmstädter Rap-Crew „Böse Zungen“ mitgegründet, es folgten elf Alben und 2014 das Projekt Bessunger Hills. Zusammen mit Hüseyin Köroglu von den Besidos beschritt er zwischenzeitlich soulige Solopfade und veröffentlichte 2011 die Platte „Vom Kind zum Mann“. Jetzt hat er seine Rap-Karriere mit dem Doppel-Album „Ein Mann Ein Wort Prinzip (Der letzte seiner Art)“ auch offiziell beendet und bei einem Kaffee und einer Zigarette mit dem P über HipHop, Darmstadt und seine Zukunftspläne gequatscht.

P: Eigentlich hattest Du ja schon vor über fünf Jahren mit HipHop abgeschlossen und mit Deinem damaligen Soloalbum „Vom Kind zum Mann“ eher soulige, rockige Töne angeschlagen – warum jetzt doch noch mal ein Rap-Soloalbum?

Digga Ras: Ich war der Meinung, dass ich so nicht gehen kann. Ich bin jetzt 40 und ich musste dem Ganzen noch mal meinen Stempel aufdrücken. In Darmstadt geht nicht mehr viel mit HipHop. Ein Mädness bekennt sich nicht zu unserer Stadt, ein Phonk D ist schon lange draußen, ein Rapido bekennt sich nicht zu Darmstadt und auch ein Olexesh oder ein Yassin nicht. Deshalb wollte ich noch mal ein klares Bekenntnis veröffentlichen.

Hat es Dich also noch mal in den Fingern gejuckt?

Nach dem „Vom Kind zum Mann“-Album hatte ich das Gefühl, da könnte noch mehr gehen. Es kamen ja dann auch noch die drei Bessunger-Hills-CDs, zu denen ich viel beigesteuert habe. Da habe ich mir gesagt: Ich mach’s noch einmal richtig und dann verabschiede ich mich. Die CD ist ja auch so ein bisschen wie ein Buch gestaltet: Du klappst sie auf, hörst sie an und machst sie dann zu wie ein Buch.

Ist das das Ende des Künstlers Digga Ras?

Das Kapitel HipHop ist geschlossen. Als 40-Jähriger kann ich nicht mehr so HipHop machen wie früher – also kann man schon, aber die Entscheidung hat auch was mit Reife zu tun. Es geht ja auch darum, sich weiter zu entwickeln. Und meine Entwicklung geht gerade ganz woanders hin und ich habe mir gesagt, ich muss das Eine abschließen, um etwas wirklich Neues beginnen zu können.

Aber der Name bleibt? Dein Kollege und Freund, der Ost-Berliner Rapper Joe Rilla, ist ja jetzt als Hagen Stoll mit Rock in Berliner Mundart unterwegs.

Nein, ich bleibe Digga Ras, auch bei meinen zukünftigen Projekten. Das war ja auch bei „Vom Kind zum Mann“ so. Es werden auch noch einzelne HipHop-Videos und Features veröffentlicht, aber ernsthaft mache ich das nicht mehr weiter.

Welches Gefühl verbindest Du mit diesem letzten Album?

Wenn ich ehrlich bin und keine Frau hätte, dann würde ich das wahrscheinlich machen, bis ich 60 bin. Ich habe mich jetzt aber für die Familie entschieden, weil ich denke: Es wird Zeit.

Ist HipHop nicht auch eine Lebenseinstellung, so dass man auch ohne Rapper zu sein HipHopper bleibt?

Nee, im Grunde sehe ich mich als Musiker, der mit Rap groß geworden ist und dann irgendwann erkannt hat, dass Rap auch Soulmusik sein kann. Warum soll ich mich nur auf das Rap-Ding beschränken, wenn’s auch noch mehr gibt? Bereits damals, als wir „Vom Kind zum Mann“ veröffentlicht haben, hatte ich sechs, sieben neue Songs fertig und ich habe gesehen, dass ich schon viel weiter bin.

Mit insgesamt 34 Stücken, dem Hit-Produzenten Enoi, Gast-Rappern wie Gregpipe, Olexesh, Mädness und der Böse-Zungen-Crew hast Du die Messlatte für Darmstädter HipHop ziemlich hoch gelegt.

Da kommt auch keiner hin. Ich kenne einfach einen Haufen Leute, die Bock hatten, mit mir zusammen zu arbeiten. Ich habe schon immer viel connectet, nicht nur hier in der Stadt, auch außerhalb. Es gab dabei immer ein paar Hürden zu nehmen, bei Gregpipe und Olexesh beispielsweise, aber es hat geklappt.

Aber im Stück „So ist Rap“ bist Du ziemlich direkt. Das hört sich an wie eine böse Abrechnung mit der Darmstädter HipHop-Szene.

Ja, aber es ist sogar eine leicht zensierte Version. Mein Kumpel Enoi hat mir immer wieder gesagt, dass ich das umschreiben muss. Ich sage darin aber, was Sache ist. Für mich ist Rap halt Competition und auch Provokation. Das Tolle an Rap ist, dass man solche Unstimmigkeiten auch über Musik austragen kann. Doch ich habe auch gemerkt, dass es für manche nicht so einfach ist, offen und ehrlich zu sagen, was sie denken.

Bei unserem letzten Interview 2014 hast Du gesagt, das sei das beste Jahr für HipHop aus Darmstadt. Jetzt ist davon aber nicht mehr so viel übrig. Mädness und Döll sind nach Berlin gezogen, um Bessunger Hills ist es ruhiger geworden, Du hörst auf …

Es geht leider immer nur darum, dass die Einzelnen gut da stehen, auch in den Interviews. Um die Community hier in Darmstadt geht’s keinem. Das war auch damals bei dem Juice-Artikel so [im Oktober 2015 gab es im wichtigsten deutschen HipHop-Magazin einen langen Beitrag über die Darmstädter Szene, Anm. d. Red.]. Das war schlechter Journalismus, wenn man sich alles mundgerecht hinlegt und nur das rauszieht, was für die Story passt. Denn in dem Artikel kam ja nicht mal ansatzweise das vor, was hier in den letzten 15 Jahren im HipHop los war. Da wurden viele Leute komplett ignoriert und vergessen.

Gehst Du im Zorn?

Nein, ich sag’s auch auf dem Album: Ich habe meinen Feinden die Hand gegeben. Bei manchen war es vergebens und ich habe bis auf eine Person alle um Erlaubnis gefragt, ob ich die Tracks verwenden kann.

Es ist ja nicht nur Dein letztes Album, Du bist ja seit knapp zwanzig Jahren im HipHop aktiv …

Hm, Zior [Mitglied der Bösen Zungen] hat’s ausgerechnet, es sind genau sechszehneinhalb Jahre.

Okay, sechszehneinhalb Jahre, wie siehst Du die rückblickend?

Viel zu krass! Meine Intention damals, als ich angefangen habe, war: Ich will damit etwas reißen. Ich wollte es schaffen. Dieser Traum ist immer noch nicht ausgeträumt, aber man merkt halt schnell, dass es sehr lange dauern kann und dass man auf viel Hilfe angewiesen ist. Aber klar, die Neunziger waren natürlich die beste Zeit – ob Dr. Dre, Lost Boys, Big L oder so – das wird immer noch gepumpt. Was mich damals ausgemacht hat: Rap hat mich ernährt wie den Junkie seine Nadel. Ich habe immer an mir gearbeitet und ein Level erreicht, mit dem ich ein Vorbild für junge Rapper sein konnte. Aber das Niveau möchte ich jetzt halt für andere Musikrichtungen nutzen.

Du bist also an einem Punkt, an dem Du den Staffelstab weitergeben möchtest an eine andere Generation. Ein Projekt in dieser Richtung war ja Bessunger Hills, wo Du junge Rapper unterstützt hast. Machst Du damit weiter?

Nein, ich habe das aufgebaut und jetzt müssen das andere weiterführen. Ich habe mich mit Bruder Jakob [ebenfalls Mitglied der Bösen Zungen] getroffen und es gab eine Menge Reibereien. Die Jungs aus Bessungen haben zwar das Ding für sich beansprucht, aber ich musste immer alles machen und dann gab’s am Ende Zoff. Ich habe gesagt: Ich mache noch eine CD mit und dann könnt Ihr das weitermachen. Crizpanic und POC bleiben dabei und Jakob wird das dann weitermachen.

Was ist mit der nächsten Generation?

Der Nachwuchs hat meiner Meinung nach zu wenig aus seinen Chancen gemacht, das sehe ich bei meinen Jungs. Die durften vor Fard & Snaga auftreten oder in der Centralstation als Vorgruppe von Talib Kweli performen und haben leider nichts daraus gemacht. Aber auch wir Alten haben zu wenig in die Szene investiert.

Jetzt ist es bei Dir also mit HipHop vorbei. Wie geht’s weiter?

Jetzt gibt’s erstmal eine Pause und dann setze ich mich mit Hüseyin zusammen. Aber das nächste Album wird richtig groß, da sind einige böse Sachen dabei, wo ich so richtig losträllere [lacht]. Ich habe ein Musical geschrieben, ich habe mich da von Macklemores „Wings“ inspirieren lassen. Jetzt muss ich den Hüseyin noch dazu bekommen, dass wir das auch machen. Zukünftig werde ich auch anders arbeiten: Da kommt nicht mehr der TU Chor, sondern da hole ich mir Sängerinnen vom Kirchenchor aus Roßdorf und die singen dann in meinem Musical. Das Album ist zu einem Viertel schon eingesungen, aber ich mache das alles noch mal neu. Ich fange jetzt wieder bei Null an. Also spätestens in einem Jahr gibt es wieder was Neues von Digga Ras.

Mit welchen Worten verabschiedet sich der Rapper Digga Ras?

Ach, einfach: Auf Wiedersehen. Denn es wird ein Wiedersehen geben.

Danke für das Gespräch.

 

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