Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Der März war kein guter Monat für die Lilien. Sie schrieben deutschlandweit Schlagzeilen, auf die man als Verein und als Fan liebend gerne verzichtet hätte. Da waren zum einen die sportlichen Negativerlebnisse – und dann krachte es auch noch auf und zwischen den Rängen des Böllenfalltors.

Doch fangen wir mit dem Sportlichen an. Nach dem Mutmacherspiel in Bremen, das nur wegen einer bitteren Regelauslegung nicht gewonnen wurde, sollte im Heimspiel gegen Augsburg der Bock endlich umgestoßen werden. Da passte es nur zu gut, dass die Massen bei frühlingshaftem Wetter ans Bölle strömten. Jetzt noch ein wenig Spielglück und der erste Dreier seit Oktober sollte fällig sein. Was aber folgte, war eine sportliche Bankrotterklärung. Die Gegentore fielen wie reife Früchte. Nach 29 Minuten lagen die 98er mit 0:5 zurück. Ein ums andere Mal legten sie den Augsburgern die Tore auf. Ein gefühltes Eigentor jagte das nächste. Da passte es ins Bild, dass in der Vorwoche in Bremen der SVD tatsächlich nach wenigen Minuten ein Eigentor erzielt hatte. Eine Woche nach dem Augsburg-Spiel leitete dann ein weiteres in der dritten Spielminute die Niederlage in Leipzig ein. Au weh!

Ein Eigentor schossen auch die Lilienfans. Das Debakel gegen Augsburg zeigte Wirkung. Zunächst stellten die Ultras auf der Südtribüne ihren Dauersupport in der ersten Hälfte ein. Einige Fangruppen auf der Gegengerade unterstützten ihr Team noch punktuell [„Immer Possmann-Cup-Sieger … !“]. Nach dem Schlusspfiff entlud sich der Frust über die krachende Niederlage dann in einer skurrilen Szene. Ein Capo der Ultras trat auf den Rasen und vor das geknickte Team, und schrie es wild gestikulierend an. Auf der Gegengerade kam das gar nicht gut an. Denn es hatte den Anschein, als ob es sich hier ein Vertreter der organisierten Fanszene herausnahm, im Namen aller Fans die Mannschaft zur Sau zu machen. Spieler und Coach Torsten Lieberknecht verneinten diesen Eindruck zwar im Nachhinein, die Außendarstellung ließ aber live im Stadion gar keine andere Wahrnehmung zu. Auch in der nationalen Berichterstattung fragten diverse Medien, ob in Darmstadt etwas zwischen Fans und Mannschaft am Bröckeln sei.

Ein denkwürdiger, rabenschwarzer Samstag

Nun, es bröckelte wirklich. Nur leider unter den Fans. Von der Gegengerade erntete der Capo für seinen aggressiven Auftritt nicht nur Pfiffe, sondern auch derbe Rufe, die ihm das Mundwerk verbieten wollten. Das kam wiederum auf der Süd nicht gut an. Denn die hatte zuvor beschlossen, einen der ihren zur Mannschaft zu schicken, um in ihrem Namen das Dargebotene einzuordnen und den Blick nach vorne zu richten. Schließlich blieb der Relegationsplatz ja noch in Sichtweite. Diese Sprachregelung war allen anderen Fans nicht bekannt. So gab es ein Missverständnis hier und hohen Puls da. Aggressive Gesten wurden zwischen Anhängern der Süd und der Gegengerade ausgetauscht. Das Resultat: Einige machten sich von der Süd auf zur Gegengerade, um nicht nur Worte zu wechseln, sondern handgreiflich zu werden. Wenn Fans auf Fans losgehen, dann ist das ein absolutes No-Go! Was als frühlingshafter Samstag begann, endete als rabenschwarzer.

Gewisse Vorbehalte zwischen den organisierten Ultras und der unorganisierten Gegengerade sind nicht neu. In erster Linie macht sich das an der Art des Supports und vielleicht auch an einem Generationenkonflikt fest. Die überwiegend jungen Ultras singen durchweg, die Gegengerade sporadisch und spielbezogen. Die Süd hätte gerne, dass sich die Gegengerade mehr einbringt. Zumal im neuen Bölle mit kompletter Überdachung. Da sollte doch wirklich mehr gehen!? Aber war das jemals anders? Der stimmungsgewaltigere A-Block ist inzwischen in den Oberrang der Gegengerade gezogen. Im Unterrang unterstützen einzelne Fanclubs und die Normalos, die aber in erster Linie Fußball schauen und erst in zweiter singen. Für sie – wie etwa mich – gibt das Geschehen auf dem Platz die Marschrichtung vor. Werden die Lilien benachteiligt, brauchen sie mal etwas Rückenwind oder spielen sie mitreißend, dann bringt man sich ein. Eben spontan und nicht orchestriert.

Jede Form von Support hat ihre Daseinsberechtigung

Diesem Gedanken stehen die zwei ominösen Lautsprecher entgegen, mit der die Süd von Zeit zu Zeit Kommandos auf die Gegengerade geben kann. Das empfinden nicht wenige als Bevormundung. Weil es eben so gar nicht ihrem Verständnis von Support entspricht. Dort die schwarzgekleidete Masse, die von außen als exklusiver, wenn nicht gar elitärer Zirkel wahrgenommen werden kann, und die geschlossen und hochemotional den Ansagen ihres Capos vom Zaun folgt. Hier die blaue Gegengerade, der genau dieses Uniformierte und Folgsame suspekt ist. Auf Auswärtsfahrten wird dieser Clash offenbarer. Denn dort sind beide Gruppen in einem engen Auswärtsblock. Wer schon mal ein Spiel lang hinter ausdauernd fahnenschwenkenden Ultras stand, der weiß, dass so eine Partie interessant sein könnte, wenn man denn genug sehen würde.

Zudem finde ich es irgendwann nicht mehr angebracht, die Mannschaft nach der x-ten Niederlage lautstark abzufeiern. Ultra-Urgestein Tim Strack erläuterte nach dem Augsburg-Spiel im „Hoch & weit“-Podcast, dass das Beklatschen und Bejubeln nach Spielende gar nicht in erster Linie dem Team gelten sollte. Es sei ein lautstarkes Bekenntnis zum Sportverein. Zudem gelte es, den gegnerischen Ultras zu zeigen, was man auf- und darbieten kann. Quasi ein Wettbewerb unter den Kurven. Nun ja, mir ist der Wettbewerb auf dem Platz eigentlich genug.

Klar wird aus alledem eines: Diesen geschlossenen Support, den wird es unter Lilienfans nicht geben und den gab es so noch nie. Das hat Tim zuletzt in „11Freunde“ gut nachgezeichnet. Am Bölle hat jede Form von Anfeuerung ihre Daseinsberechtigung. Das Verständnis untereinander ist zwar nicht immer da, die nach dem Augsburg-Spiel geführten Gespräche und auch das zufällig in der Folgewoche stattfindende Fanforum zeigten immerhin, dass sich in aller Ruhe miteinander diskutieren lässt. Das stimmungsvolle Heimspiel gegen die Bayern war ein weiterer, deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Es zeigte, dass man in der Form des Supports gar nicht übereinstimmen muss. Der Mannschaft ist auch dann geholfen, wenn sich jeder auf seine Weise einbringt. Der A-Block von oben, der Rest der Gegengerade intuitiv von unten und natürlich die Süd. Und dass es einen Schulterschluss zwischen beiden Tribünen geben kann, das zeigt sich immer dann, wenn die Süd beginnt „Gegengerade“ zu skandieren und damit den Auftakt zum Wechselgesang gibt, auf den sich auch Normalos wie ich sehr gerne einlassen. In dieser Hinsicht: Schluss mit den Eigentoren und: „ESS – VAU – DEE!“

 

„Fünf Spiele, fünf Siege!“ [sic!]

So, 31.3., 19.30 Uhr: VfL Bochum – SV Darmstadt 98

Sa, 6.4., 15.30 Uhr: 1. FSV Mainz 05 – SV Darmstadt 98

So, 14.4., 15.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – SC Freiburg

Sa, 20.4., 15.30 Uhr: 1. FC Köln – SV Darmstadt 98

So, 28.4., 19.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – 1. FC Heidenheim

sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog