Foto: Das Blumen e. V.

Vom 17. bis 25.06. feiern die Hessischen Theatertage – nach zehn Jahren mal wieder – am Staatstheater Darmstadt die große Diversität der hessischen Theaterszene. Gruppen aus Kassel, Marburg, Frankfurt und dem Rest des Bundeslandes sind dabei: die großen, etablierten Häuser und die Freie(n) Szene(n) – plus hessischer HipHop von Mädness und Döll. Bauliches Highlight des Festivals ist eine vom Kreativkollektiv Blumen e. V. entworfene, offene Holzkonstruktion auf dem Georg-Büchner-Platz, die nicht nur zu Theater und Kunst, sondern auch zu kalten Getränken und kleinen, kostenlosen Kultur-Formaten einlädt. Das P sprach mit Festivalleiterin Laura Gunder und ihrer Kollegin Finja Jens über nicht vorhandene Zielklientel, die Buntheit der Kunstform Theater und warum eine Wespe in der Gurkenlimo gar nicht so schlimm ist.

Früher gingen die Leute ins Theater, heute gehen sie ins Kino. Warum ist das so?

Laura: Ich weiß gar nicht, ob das so ist. Ich glaube, auch die Kinozahlen sind rückläufig. Ich habe eher das Gefühl, dass die Leute zurück zum unmittelbaren Erleben gehen: Konzerte, Festivals, das ist schon irgendwie wieder im Kommen – entgegen dieser On-Demand-Mentalität, die wir alle gerade erleben.

Hessische Theatertage, das klingt ja schon etwas nach Bildungsbürgertum jenseits der 50. Habt Ihr eine Zielklientel?

L: Es klingt vielleicht danach, aber es ist letztlich das, was es ist: Nämlich ein Querschnitt des Theaters in Hessen, alles, was im Moment passiert. Also auch aktuelle Sachen von der Freien Szene, denn da ist die Fluktuation immer schneller als bei den großen Häusern. Dadurch sind die auch immer ziemlich am Puls der Zeit. Die Hessischen Theatertage sind immer schon mit der Freien Szene verbunden gewesen, sie hat immer einen großen Anteil daran. Ich finde das auch echt schön. In anderen Bundesländern ist das leider nicht der Fall. Ich finde es auch kulturpolitisch wichtig. Dadurch und auch durch unsere Verbindung zu den Leuten vom Blumen, glaube ich tatsächlich, dass wir mit unserem Festival eine ganz andere Zielgruppe ansprechen: die Studierenden, die jüngeren Leute – und natürlich auch das Stammpublikum. Ich glaube, dass da für jeden was dabei ist. Das ist zumindest die Idee des Programms.

Finja: Das Programm ist auch, was die Formate angeht, ziemlich breit angelegt: experimentelle Geschichten, die Filmnacht-Wanderung zum Beispiel. Aber wir haben auch eine ganz klassische Oper dabei.

… und Mädness und Döll … statt Mozart und Debussy?

L: Alles, was Kultur ist, soll an diesen neun Festivaltagen in seiner ganzen Bandbreite repräsentiert werden. Dazu gehört auch HipHop-Musik. Ich komme selbst aus Darmstadt und ich habe mir am Anfang darüber Gedanken gemacht: Was und wer repräsentiert dieses „Hessische“? Und da finde ich gerade Mädness – neuerdings mit seinem Bruder Döll zusammen – ziemlich passend. Ich hatte sie auch schon letzten September angefragt, da hatten sie den Four-Music-Deal noch nicht.

Stimmt, die Zwei gehen gerade ziemlich durch die Decke …

L: Genau, und dass das so groß wurde, freut mich auch sehr für die beiden. Ich hatte dabei aber eher diesen lokalen Bezug im Sinn.

Wie kam’s zur Kooperation mit den Blumen-Leuten?

L: Das Blumen kannte ich noch von den Veranstaltungen in der Nieder-Ramstädter-Straße. Dass die allerdings auch solche baulichen Projekte machen, wusste ich nicht. Das hat mir ein Kollege erzählt und auch den Kontakt hergestellt. Sie entwerfen und bauen das Festival-Zentrum, was dann auf dem Georg-Büchner-Platz steht, und sind richtig involviert in die Geschichte.

Was kann mir als Gast der Hessischen Theatertage schlimmstenfalls, was bestenfalls passieren?

L: Also schlimmstenfalls … es ist Sommer und da könnte eine Wespe in Deine Gurkenlimo klettern. Aber auch da können wir bestimmt Abhilfe schaffen.

Bei Allergikern …

F: Ja, auch bei denen. Ersthelfer und Sanitäter sind vor Ort.

L: Und bestenfalls guckst Du natürlich direkt ins Programm und schaust, was morgen passiert. Wann man da wieder kommen kann, weil’s so schön war. So stell ich mir das vor.

Ihr präsentiert ein vielfältiges Programm. Verratet Ihr uns Eure ganz persönlichen Highlights?

L: Es freut mich sehr, dass in der Kunsthalle Darmstadt [im Rahmenprogramm der sehenswerten Ausstellung „Planet 9“] die Landungsbrücken Frankfurt mit „Hass“ auftreten werden. „Hass“ ist dieser Kultfilm aus den 90er Jahren von Mathieu Kassovitz, den ich als Theaterfassung noch nie gesehen habe. Da freue ich mich sehr drauf. Das gilt auch für die Oper „Eugen Onegin“ vom Staatstheater Wiesbaden, mit 1.000 Plätzen im Großen Haus, also das wird auch `ne große Sache.

F: Ich freue mich auf „Gravitas“. Das ist ein Tanztheaterstück aus Gießen. Ich habe nur die Bilder gesehen und das sieht total abgefahren und gut aus, was die da vorhaben. Mir gefällt auch ihre sinnliche Herangehensweise. Man muss nicht immer schwere Themen behandeln, sondern kann auch einfach mal das Theatererlebnis in den Fokus stellen. Dass ich da anderthalb Stunden sitze und mir denke: Was geht denn hier grad ab?

Ein Happening statt intelektuellem Overkill quasi …

F: Genau. Und das kann Theater eben auch sein.

L: Und dann gibt es solche Dinge wie – auch aus Gießen – „Fegefeuer in Ingolstadt“. Ein Schauspiel aus dem Jahr 1924, das sich mit dem Ausgestoßensein auseinandersetzt, was ich wieder super aktuell finde. Uns ist auch aufgefallen, dass sich relativ viele Themen oder Stücke mit dem Rechtsruck, der im Moment zu verzeichnen ist, auseinandersetzen, zum Beispiel das Stück „Furcht und Ekel“ aus Marburg.

In der Soziologie heißt die letzte Frage im Fragebogen der „Kotzkübel“. Habt Ihr noch etwas, das Ihr loswerden möchtet?

L: Dass man in neun Tagen total viele verschiedene Theater sehen kann, was normalerweise nicht geht, weil man nicht mal einfach so nach Kassel fährt. Die Gelegenheit sollte man nutzen!

Dann vielen Dank fürs Gespräch, wir sehen uns auf dem Festival!

 

Highlights der Theatertage

Bei den Hessischen Theatertagen sind vom 17. bis 25.06. neun Tage lang rund 30 Acts aus ganz Hessen zu sehen. Highlights sind unter anderem:

So, 18.06., 20 Uhr, Kammerspiele: „Gravitas“ (Stadttheater Gießen): Sinnliches Tanztheater rund um die Schwerkraft, untermalt von kosmischen Klängen und Videoinstallationen.

Mo, 19.06., 19.30 Uhr + Di, 20.06., 11 Uhr, Kammerspiele: „Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute“ (Hessisches Landestheater Marburg): Prollige Nazis aus Sachsen-Anhalt treffen auf die Würdenträger der aufgeklärten Mittelschicht. Das wird ziemlich krachen.

Di, 20.06., 19.30 Uhr, Kunsthalle Darmstadt: „Hass – La Haine. Bis hierher lief’s noch ganz gut“ (Landungsbrücken Frankfurt): Inszenierung des Kultfilms von Kassovitz, der versucht, Rassismus allein durch die Besetzungslogik in den Theatern und Filmen darzustellen und zu hinterfragen.

Mi, 21.06., 20 Uhr, Treffpunkt Foyer der Kammerspiele: „Ungeheuer?“ (Theaterlabor Inc.): Inklusives Theaterprojekt aus Darmstadt darüber, was denn ein Ungeheuer ist und wo man es überhaupt finden kann.

Fr, 23.06., 19.30 Uhr, Großes Haus: „Eugen Onegin“ (Hessisches Staatstheater Wiesbaden): Klassische russische Oper! Groß und durchdacht inszeniert, inhaltlich abwechslungsreich durch die Darstellung von Landleben und Geldadel im Russland des 19. Jahrhunderts.

Fr, 23.06., 22 Uhr, Foyer der Kammerspiele: Mädness & Döll (feinster Hessen-HipHop): Die beiden Darmstädter Rapper haben es mit dem neuen Album „Ich und mein Bruder“ bis aufs Juice-Cover geschafft. Ist irgendwie auch Theater.

Das ganze Programm: www.hessischetheatertage.de oder in unserer immer gepflegten Eventdatenbank www.partyamt.de.