Dirty Flamingo! | Foto: Cora Trinkaus

Proberäume – ohne sie geht es nicht und wenn eine Band nach langer Suche endlich einen gefunden hat, dann behält sie ihn am besten bis ans Lebensende (oder zumindest bis zur Auflösung der Band). Es gibt nur wenige Orte, die so einen Brennpunkt der lokalen Musikszene bilden wie sie. Herumstehende Bierflaschen, chronisch unvollständige Technik und den viel zu alten, müffelnden Teppich unter dem Schlagzeug mal ignoriert: In Proberäumen kommen Bands und Musiker:innen zusammen, hier entsteht Musik und Begegnung. Und trotzdem sind sie beinahe überall Mangelware. Dass das in Darmstadt nicht anders ist, wissen nicht zuletzt die Musiker:innen unserer Stadt nur allzu gut. Welche Räumlichkeiten gibt es aktuell für Bands in Darmstadt zum Proben? Das P hat sich mal umgeschaut.

Erste Anlaufpunkte sind zunächst einmal die Orte, an denen eh schon Musik stattfindet. Zwei feste Institutionen dafür sind in Darmstadt seit jeher die Oetinger Villa und die Bessunger Knabenschule. In der „Villa“ stellt der Trägerverein des selbstverwalteten Jugend- und Kulturzentrums Oetinger Villa e. V. fünf Räume bereit, in denen vor allem junge Menschen zusammen musizieren und sich ausprobieren können. Auch einige Platten sind hier schon aufgenommen und produziert worden. Für die Nutzung der Räume müssen grundsätzlich keine Miete oder sonstige Kosten bezahlt werden. Allerdings gehört zum Konzept der Selbstverwaltung auch, dass die Bands sich aktiv ins Vereinsleben einbringen und die Villa mitgestalten. Zurzeit sind die Kapazitäten mit etwa drei bis vier Bands pro Raum ausgeschöpft. Unter den 15 bis 20 Bands, die hier aktuell proben, sind mit Wight, Fallen Tyrant und Kommando Schimmelkotze einige Namen dabei, die man auch über Darmstadts Stadtgrenzen hinweg kennt.

Am anderen Ende der Kernstadt, im Süden, liegt die Bessunger Knabenschule (BKS). Hier proben schon seit Ende der 1980er-Jahre Bands aus Darmstadt und der Umgebung. In fünf Räumen treffen sich aktuell etwa 13 Musikgruppen unter dem Schirm des gemeinnützigen Trägervereins des Gebäudes. „Wir vermieten das jeweils an einen Hauptmieter unter – und wenn eine Band aus dem Proberaum aussteigt, machen die das meistens auch unter sich aus, wer Neues nachkommt“, erklärt Jürgen Schüler aus der Geschäftsführung der BKS. „Ist ja auch besser, wenn die Bands sich untereinander kennen.“ Schillernde Namen aus den Kellerräumen sind etwa Captain Capgras, die Branko Slava Superband und Remine.

 

Die Glasbläserei im Sensfelder Weg | Foto: Cora Trinkaus

Kündigungen in der Glasbläserei

Eine weitere Sammelstelle für Proberäume ist die Alte Glasbläserei im Sensfelder Weg, der parallel zur Kasinostraße im Nordwesten der Stadt verläuft. Verteilt auf drei Stockwerke proben hier in zwölf Proberäumen insgesamt circa 25 Bands; darunter etwa Lucid Void, Simon and the Diamonds und Voyagers Grand Tour. Die ersten Gruppen fingen 2010 an, hier zu proben. Organisiert werden die Räume eigenständig und praktisch jeder Raum für sich selbst, doch gibt es im Keller auch eine Gemeinschaftsfläche. Seit das Gebäude vor einigen Jahren von privater Hand an den ZAS (Zweckverband Abfallverwertung Südhessen, Eigentümer des benachbarten Müllheizkraftwerks) verkauft wurde, vermietete dieser die Proberäume jeweils einzeln. Mitte März 2023 kam nun jedoch die Nachricht, dass „aufgrund neuer Erkenntnisse zur baulichen Situation“ die Nutzung der Proberäume nicht weiter fortgeführt werden könne. Ein paar Monate bis zum Eintreten der Kündigungen bleiben zwar noch, doch wurde den Parteien im Keller die Nutzung als Proberaum bereits mit sofortiger Wirkung untersagt. Wie es für die Bands aus der „Glasi“ nun weitergeht, ist noch ungewiss. Michael Marquardt vom nicht-eingetragenen Verein „Freundeskreis Glasbläserei“ stellt klar: „Eine Gesellschaft, welche nur das glänzende Endprodukt, nicht jedoch den harten, teils einsamen Weg in verschwitzen Kellern oder zugigen, alten Bürogebäuden wertschätzt, ist unseres Erachtens auf dem Holzweg.“ Er sei enttäuscht darüber, dass hinsichtlich der Bedenken „im Vorfeld keinerlei Gespräch zur konstruktiven Lösungsfindung gesucht wurde.“ Die Entega AG, Dienstleister des ZAS und neben der Geschäftsführung auch mit der kaufmännischen Abwicklung des Zweckverbands betraut, entgegnet dem, dass „nach Kenntnis über die Genehmigungslage des Gebäudes leider umgehend gehandelt werden musste.“ Kurz nach Redaktionsschluss gab es zudem eine Informationsveranstaltung, zu der alle Mieter eingeladen wurden (wir werden Euch im Mai-P updaten!). Fest steht: Konkrete Planungen, was mit dem Gebäude nach Inkrafttreten der Kündigungen passiert, gibt es laut Entega aber noch keine.

Idris Colaker hat das Projekt der Proberäume in der Alten Glasbläserei mitgegründet und ist auch sonst ein fester Bestandteil der Darmstädter Musikszene. Zwar ist der Schlagzeuger (aktuell unter anderem bei: Blood Money) schon seit mehreren Jahren bei der Alten Glasbläserei ausgestiegen, doch engagiert er sich nach wie vor – heute vor allem im Loft in der Liebigstraße. Das Gebäude mit dem bekannten Kellerkomplex, das hinter dem Kulturclub Sumpf (und damit nur ein paar Ecken entfernt von der Glasbläserei) liegt, kennen die einen aufgrund des Baumaterials auch als „Klinkerbau“. Die anderen wiederum nennen es „Luftpumpe“ wegen des gleichnamigen Fahrradladens, der sich einmal im Erdgeschoss befand und dessen Lagerräume und Werkstatt die Räumlichkeiten im Keller ursprünglich bildeten. Colaker erzählt: „In dem Raum, in dem wir heute sind, war Anfang der 90er-Jahre sogar mal ein Mini-Skatepark. Das erinnere ich noch ganz genau: Der Boden war ausgelegt, damit man darauf skaten konnte, und es standen ein paar Rampen rum.“ Initiiert wurde das Projekt federführend von Timon Ruhemann, der zu dieser Zeit auch den 1. Darmstädter Skate- und BMX-Verein e. V. mitgründete. Die Proberäume, die er dann in den Keller baute, verwaltet der Wahl-Berliner seit etwa 30 Jahren als Hauptmieter – auch wenn sich das gerade umstrukturiert. Heute proben in den zehn Räumen jeweils mindestens drei Bands, darunter Bushfire und Robotnik. „Und auch die legendäre Darmstädter Ska-Band Ska Trek war jahrelang hier unten“, merkt Colaker an.

 

Zimt und Zunder bei der Probe in der Villa | Foto: Peter Steinert

Der Schlagzeuger dieser Ska-Band ist Lolo Blümler. Er hatte in einem Tonstudio, welches früher auch noch Teil der Loft-Kellerräume war, schon Musik von so „manchem Darmstädter Urgestein“ aufgenommen – vor allem aus der Hardcore-Szene. Gemeinsam mit Gyso Hilger und Mark Rückert, welche ebenfalls im Loft aufnahmen, zog er dann auf das Goebel-Gelände östlich neben dem Hauptbahnhof, wo sie sich nun mit ihren jeweiligen Tonstudios Lofthaus, Nektarium und Iron-Bar einen Komplex teilen. Ein weiteres Recording Studio auf dem ehemaligen Gelände der Firma Goebel ist seit 2012 das Lui Hill Studio von Lukas Lehmann und Philipp Rittmannsperger. Auch sie bieten keine Proberäume an, allerdings recorden und proben hier regelmäßig Bands wie Triorität, Meloi und Theodor (neben natürlich Rittmannsperger aka Lui Hill selbst). Unter dem Tonstudio (und komplett unabhängig davon) gibt es seit etwa 2007 jedoch noch ein paar klassische Proberäume, die direkt von Besitzern des Goebel-Geländes vermietet werden. Der Hauptmieter einer dieser Räume ist Christian Jung. „Inzwischen sind wir ein reiner Musiker-Proberaum, der Raum wird also vor allem von einzelnen Berufsmusikern genutzt, die in allen möglichen Bands spielen und hier aber auch Unterricht geben“, erzählt er. Bei insgesamt fünf Parteien werde der Raum deshalb auch ziemlich intensiv genutzt. Bis vor Kurzem war hier die Reggae-Band Ease Up Ltd. beheimatet; in den benachbarten Räumen probt etwa die Garage-Punk-Band The Satelliters. Ebenfalls auf dem Goebel-Gelände befinden sich zudem noch die Tag & Nacht Studios. Bei diesem Zusammenschluss von Bands proben regelmäßig 16 Projekte aufgeteilt auf sieben Räume. Die Miete wird sich auch hier geteilt und die Räumlichkeiten organisiert man gemeinsam in einer GbR. Die individuelle Nutzung der einzelnen Räume verläuft selbstverwaltend und ist 24/7 für die Bands verfügbar (daher auch der Name). „Wir treffen uns regelmäßig. Einer macht Finanzen, einer macht Steuern und ich mach zum Beispiel so Hausmeisteraufgaben und Verwaltung“, erzählt Patrick Thornley aus dem Kollektiv. „Wir haben auch eine selbstverwaltete Bar. Das läuft alles auf Selbstkosten-Basis.“ Die Kosten würden sich dabei größtenteils selbst tragen. Der geringe Gewinn an Mieteinnahmen wird etwa für Renovierungen, Schäden wie kaputte Heizungen oder auch als Ausgleich für das Tag & Nacht-Sommerfest genutzt, bei dem immer freier Eintritt ist. Angefangen mit dem Projekt haben 2011 die Bands Wortblind, Sound Section und eine heute nicht mehr bestehende Band, weil „wir selbst Proberäume gebraucht, uns die Konzepte aber nicht gefallen hatten oder es einfach nichts gab“, so Thornley. Die Bands aus dem Kollektiv sind alle langfristig in das gemeinschaftliche Projekt involviert. Bekanntere Namen davon sind etwa Electric Horseman, Immergrün oder Tobi Vorwerk.

Eine letzte Station bilden Richtung Weststadt die Proberäume von Bandpro.be mitten im Industriegebiet der Mainzer Straße. Drei große Proberäume werden hier (für dauerhafte Mieter:innen) jeweils an drei Bands sowie eine wechselnde Anzahl an Einzelmusiker:innen vermietet. Neben vielen Nicht-Darmstädter Bands probt hier etwa auch die Alternative-Rock-Band Snerft. Und eine gute Nachricht zum Schluss: Aktuell sind hier noch Kapazitäten frei!

 

Nachtrag

In der Innenstadt findet sich in der der Jugendkulturarbeit-Einrichtung „Huette“ ein selbstverwalteter Bandproberaum. Aktuell musizieren hier fünf Bands. „Normalerweise ist bei uns bei 27 Jahren Schluss, aber wir haben auch Formate, an denen Ältere teilnehmen können“, erklärt Kai Schuber-Seel, Leiter der „Huette“, und ergänzt: „Gesucht wird übrigens noch eine Mädchen*- bzw. Frauen*band.

 

Geht da noch mehr?

Ihr kennt noch weitere Proberäume? Oder Gebäude oder Räume, die Proberäume sein könnten? Dann schreibt uns ne Mail an: redaktion@p-verlag.de