echterHeiner
Foto: Jan Ehlers

Auch auf die Gefahr hin, dass ich danach endgültig verschissen hab. Diesen Monat schauen wir uns mal den gemeinen Darmstädter an sich an.

Hugo W. aus L. möchte wissen: „Liebe Vicky, was ist ein echter Heiner und was zeichnet ihn aus?“

Nachdem ich nun seit einigen Monaten auf Darmstadt rumgehackt habe, kommt nun die Kür – deren Einwohner. Auch auf die Gefahr hin, dass ich nun endgültig wegziehen muss oder mich nicht mehr außerhalb meiner Wohnung aufhalten kann, möchte ich Dir Deine Frage beantworten, lieber Hugo. Laut Aussagen selbsternannter Heiner ist eben jener ein Ureinwohner Darmstadts, dessen Eltern auch schon in der Stadt am Darmbach das Licht der Welt erblickten. Vor einigen hundert Jahren waren Heiner aber eher der Pöbel der Stadt. Das Lumpenproletariat wuchs über die Jahrhunderte zu einem elitären Kreis, dessen Aufnahmebedingungen schier utopisch wirken.

Wieso utopisch? Ganz einfach: Darmstadt ist eine Universitätsstadt und hat im Gegensatz zu den umliegenden Städten sonst kaum weitere Anreize zu bieten: Altstadt zerbombt, Fluss nie besessen, Mieten viel zu hoch. Darauf angesprochen reagieren echte Heiner allerdings „not amused“, was wohl zu den typischen Charakterzügen des Ur-Darmstädters gehört. Allerdings kann ich auf diesem Gebiet nur mutmaßen und muss mich aus einem Pool eigens gemachter Erfahrungen sowie Erzählungen anderer bedienen. Generell fühlt sich der gemeine Heiner schnell auf seinen patriotistischen Schlips getreten, auch oder vor allem durch meine Kolumne. Aber die Heiner hatten es in der Geschichte ja auch nicht wirklich leicht, das muss man ihnen zugestehen. Wie gesagt, die typischen Stadt-Attribute fehlen gänzlich – und der Name der Stadt ist so was von daneben (da liegt es irgendwie nahe, dass man sich lieber als „Heiner“ tituliert).

Im geballten Rhein-Main-Gebiet mit Kultur-Hochburgen wie Frankfurt und Wiesbaden wirkt die ehemalige Residenz- und Landeshauptstadt Darmstadt heute wie ein Pups im Hurrikan. Eifrige Bemühungen ebenfalls architektonische und kulturelle Highlights zu setzen, sind binnen der letzten 60 Jahre leider immer wieder missglückt: Nennen wir mal das legendäre, endlich abgerissene Saladin-Gebäude, der Wiederaufbau des Schlosses und natürlich das Prestigeobjekt Darmstadtium (manch echter Heiner tut sich schwer mit dessen Aussprache und ruft es schlichtweg „Schepp‘ Schachtel“). Letzteres benannte man nach einem chemischen Element, welches in der Peripherie Darmstadts entdeckt wurde [bei der GSI – Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt-Wixhausen, Anm. d. Red.] – eine Leistung, die sicher dort auf einen Nicht-Darmstädter zurückzuführen ist. Da Wikipedia diese Information leider nicht hergibt, möchte ich diese Errungenschaft den Darmstädtern an dieser Stelle nicht nehmen.

Natürlich gibt es auch einige Dinge, die der Heiner an seiner Stadt lobpreisen kann, allerdings sind das Errungenschaften längst vergangener Zeiten. Zeiten, zu denen die meisten heutigen Heiner noch Quark im Schaufenster waren. Und auch ich muss neidlos anerkennen, dass die Künstlerkolonie sowie die Mathildenhöhe als Ganzes oder das Hundertwasserhaus architektonisch sehr gelungen sind und ein gewisses Flair besitzen [Vicky, Du weisst schon, dass das Hundertwasserhaus selbst von so manchem überzeugten Heiner nur „Kackspirale“ genannt wird?, Anm. d. Red.].

Moment. Wie jetzt? Das sind gar keine Werke berühmter Heiner? Die Architekten der Mathildenhöhe wurden von Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein (Hessen-Darmstadt) eingekauft. Und Friedensreich Hundertwasser ist auch nicht mit Woogswasser getauft. Aber das Schloss ist made by Heiner! Laut Wikipedia wurde es im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts von den Katzenelnbogener Grafen – also den Ur-Heinern – als Wasserburg erbaut und ging 1479 in den Besitz der Hessischen Landgrafen über. Na wenigstens, auch wenn das Schloss im Dauerrenovierungszustand jährlich vermutlich mehr Geld frisst als der Berliner Flughafen. Ansehnlich ist es ja, zumindest von außen.

Wer sich mal einen echten Heiner anschauen mag – in freier Wildbahn doch eher selten anzutreffen – sollte sich mal auf dem Weg zur Goldenen Krone machen, denn davor findet sich ein waschechter Heiner, in Form einer Bronze-Statue.

Was meine knallharte Recherche auch ergab: Viele berühmte Darmstädter, vermeintliche Heiner, waren gar keine echten Darmstädter, sondern nur zugezogen. Wenn die Aufnahmeregelungen des elitären Heiner-Clans nicht so streng wären, könnten sie sicherlich einige berühmte Exilanten in ihren Reihen aufnehmen und würden somit das Image des rüpelhaften Heiners ordentlich aufpolieren. Nur so ein Gedanke.

Fragvicky2

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