Horror ist nichts für schwache Nerven. Und wenn es um die Themenfelder Tod und Teufel, um Horror und Schauer geht, liegen Wahrnehmungen oft auseinander. Doch das Gruseln begleitet uns ein Leben lang – schon im Kindesalter werden wir mit Gute-Nacht-Geschichten von Hänsel und Gretel oder dem Struwwelpeter konfrontiert.
In der Moderne ist Horror – laut Wikipedia: „ein Genre der spekulativen Fiktion, das verängstigen, erschrecken oder verekeln soll“ – vielschichtiger und lässt sich in etlichen Gesellschaftsbereichen in unterschiedlicher Ausprägung beobachten. Doch welche (künstlerischen) Ansätze werden heute verfolgt? Vor was gruseln wir uns aktuell? Wie wurden und werden Elemente des Horrors in unserer Kulturgeschichte eingesetzt? Diese Fragen stellt und beantwortet die neue Sonderausstellung „Tod und Teufel“ im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, die in Kooperation mit dem Kunstpalast Düsseldorf entstanden ist. Sie beleuchtet die „Faszination des Horrors“ und bietet in fünf inhaltlichen Abschnitten – historischer Prolog, Mode, Musik, Film und zeitgenössische Kunst – die Möglichkeit, über das Thema zu reflektieren. Bis 2. Juni 2024 zu Gast in Darmstadt wandert die Ausstellung anschließend nach Schweinfurt ins Museum Georg Schäfer weiter. Das P war mutig und hat für Euch einige Blicke hinein gewagt.
Formes des Schreckens
Direkt beim Betreten des Ausstellungsraumes im altehrwürdigen Bau Alfred Messels blickt uns der Teufel mit weit aufgerissenen und zornigen Augen an. In einer sehr untypischen Gestaltungsweise stützt er nachdenklich seinen linken Ellenbogen auf sein angewinkeltes Bein und umfasst starr mit ausgestrecktem rechtem Arm sein bekanntes Attribut: den Dreizack. Als Anführer der Rebellion im 19. Jahrhundert erscheint der Teufel in dem Ölgemälde „Hölle“ von Friedrich Wilhelm von Schadow menschlich, gar nahbar. Erstaunlich, wenn man sich die anderen fantasiereichen und grauenhaften Wesen mit ihren damals üblichen Ängsten in Bezug auf Krankheiten oder Naturgewalten im gleichen Raum ansieht. Doch das Gemälde ist „ein perfekter Auftakt“, wie Co-Kurator Oliver Sandrock bei unserem Presserundgang Ende Februar findet. Tatsächlich setzt dieses Gemälde gewissermaßen den Ton für das, was die Besucher:innen im Folgenden erwartet.
Vorausgeschickt: Der Fokus der Ausstellung liegt auf einer gesellschaftlichen, soziologischen und historischen Ebene sowie der Auseinandersetzung mit heutigen Formen des Schreckens, die sich in den vergangenen 20 Jahren etabliert haben.
Auflösung der Grenzen durch Subkulturen
Nach einem historischen Prolog im ersten Bereich werden die Besucher:innen direkt in die Bildwelt des 20. Jahrhunderts katapultiert: Es ist ein Sprung in aktuelle Diskurse. „Schrecken und Grauen begleiten die Menschheit bereits seit Anfang an und tragen zu ihrer Kulturgeschichte bei“, stellt Museumsdirektor Martin Faass fest.
Den großen Wandel stellt die Goth(ic)-Szene im konservativen England um 1980 dar, die einen neuen Grundstein für eine Ästhetik des Grauens abbildet. Markenzeichen wurden vor allen Dingen schwarze Kleidung und ein sehr helles Make-up.
Letztendlich ist es die morbide Ästhetik des Horrors, die hier metaphorisch genutzt wurde, um christliche Normen aufzubrechen, wie die Kuratorin der Ausstellung, Westrey Page, ergänzt. Insbesondere Subkulturen trügen dazu bei, dass sich die Motivik des Horrors in den vergangenen Jahrzehnten transformiert und neu geformt hat. Die Symbole jedoch – in Form von Blut, Knochen, diversen Körperflüssigkeiten oder Verwesung – sind gleichgeblieben, wie sich ab dem zweiten Bereich der Ausstellung feststellen lässt.
Mode bringt Subversives in den Alltag
In den letzten Jahrzehnten haben Haute-Couture-Designer:innen wie Alexander McQueen, Jean Paul Gaultier oder Rick Owens vermehrt Elemente melancholischer Schönheit und schauriger Erzählungen in ihre Kollektionen einfließen lassen. Die Verwendung asymmetrischer Schnitte, dunkler Farben und die klassischen Erscheinungsformen des Todes – Knochen, innere Organe oder Totenköpfe – zeigen die subversive Haltung in der Luxusmode.
Markenzeichen der Goth-Ikonen werden mit Elementen aus Popkultur und Fantasy kombiniert. Figuren wie Hexen, Vampire oder Zombies dienen als Vorbild, um europäische Schönheitsnormen infrage zu stellen und ein eigenständiges Anderssein zu betonen.
Die Motive des Horrors werden demzufolge für ein Empowernment der Träger:innen genutzt. Der eigene Selbstausdruck durch Kleidung wird durch die Ablehnung von gängigen ästhetischen Normen hervorgehoben und ermöglicht so alternative Identitäten. Diese Haltung lässt sich ebenso in Heavy-Metal-Musik und im Film beobachten. Vermeintliche Randfiguren, die sich außerhalb eines Systems bewegen, werden auf einmal zu Haupt- und Identifikationspersonen.
„Der wahre Horror ist keine Fiktion“
Der letzte Bereich der Ausstellung, der sich mit zeitgenössischen künstlerischen Positionen auseinandersetzt, geht besonders unter die Haut. In der Bilderserie „Letzte Mahlzeit im Todestrakt“ von Mat Collishaw, welche die sogenannte Henkersmahlzeit von zu Tode verurteilten Personen im Stile arrangierter Stillleben aus dem 17. Jahrhundert zeigt, und auf dem Fliesenboden von Teresa Margolles, auf dem der Künstler Luis Miguel Suro ermordet wurde, erfährt der Horror auf einmal eine ganz neue Rolle: „Heute wird der Horror als Vehikel genutzt, um gegen Positionen der Macht entgegenzuwirken“, erklärt Westrey Page und stellt damit den politischen, zeitaktuellen Charakter heraus.
Dies zeigt auch die brutale Arbeit „Red Rock of Those Ravaged and Unconsenting“ der amerikanischen Künstlerin Doreen Garner alias King Cobra, die die Betrachter:innen mit fragmentierten Körperdarstellungen konfrontiert. Wie in einer Metzgerei hängen diese in grellrotem Licht – hier an einem Neonröhrengestell.
Die Arbeit thematisiert die grauenvollen medizinischen Experimente des amerikanischen Arztes James Marion Sims, der im 19. Jahrhundert an versklavten afroamerikanischen Frauen gynäkologische Operationen ohne Einwilligung und Betäubung durchführte. Er war der absurden Überzeugung, dass diese Frauen keinen Schmerz empfinden würden.
Besonders in diesem letzten Teil der Ausstellung, die wie eine Projektionsfläche aktueller Ereignisse fungiert, wird deutlich: Der Horror ist in unserem Zeitalter schon längst nicht mehr nur fiktiv, er ist allgegenwärtig und wirkt tagtäglich – im Großen wie im Kleinen. Erschreckend wird einem diese Realität vor Augen geführt und lässt einen nachdenklich zurück.
Facettenreiches Rahmenprogramm
1.3. bis 2.6.: „Tod und Teufel. Faszination des Horrors“ im Landesmuseum Darmstadt
Einen tiefen Einblick ins Themenfeld gibt das umfassende Rahmenprogramm, das sich transdisziplinär annähert und die Möglichkeit bietet, seine eigene Position zu hinterfragen:
So, 7.4. + So, 12.5. von 15 bis 16.30 Uhr: Öffentliche Führungen über den Darmstädter Waldfriedhof
Mi, 17.4., 18.30 Uhr: Tandemführung durch die Ausstellung samt „Gespräch über Leben und Tod“ mit Ann Dargies und Marlene Fontan vom Projekt „leben aus gestorben“ Darmstadt
Fr, 19.4., 16 bis 17.30 Uhr: Austauschgespräch der Veranstaltungsreihe „zusammen:geschaut“, Thema: „Trotzdem Leben – Lebensfreude und Todessehnsucht der Trauernden“
Mi, 24.4., ab 18.30 Uhr: „Fäulnis, Madenfraß und Leichenfarmen – Über die Faszination des Grauens aus der Sicht eines Kriminalbiologen“, Vortrag von Prof. Dr. Jens Amendt, Forensiker am Institut für Rechtsmedizin, Forensische Biologie/Entomologie an der Goethe-Universität, Frankfurt
Fr, 3.5. von 21 bis 1 Uhr: „Dark Wave Night“ mit DJ Unrockbar und Berry’s Bar (Besuch der Ausstellung auch von 19.30 bis 22 Uhr möglich)
Mi, 8.5., 18 bis 19.30 Uhr: Austauschgespräch, Thema: „Das Ende neu denken – Metamorphosen und Neuanfang“
Mi, 15.5., 18.30 Uhr: Tandemführung durch die Ausstellung, Thema: „Ton und Terror! – Musik und bewegtes Bild in der Ausstellung“ mit dem Musikproduzenten Jan Heck und der freien Kulturvermittlerin Sophie Ruf
Jederzeit online auf hlmd.de, „iTunes“ und Spotify: Museums-Podcast „Das Grüne Sofa“, zwei Ausgaben zum Thema – eine mit MTV-Managerin Christiane zu Salm und eine mit Sven Marquardt, Fotograf und Türsteher des Berliner Techno-Clubs Berghain