Hinter den Lilien liegt ein turbulentes Jahr 2023. Zunächst der sich lange abzeichnende und am Ende doch zittrige Aufstieg. Dann der Auftakt in die Bundesliga, in der die 98er auf dem letzten Tabellenplatz überwinterten. Der Knalleffekt kam allerdings kurz vor Silvester. Völlig unvermittelt trennten sich die Wege des SVD und seines Sportlichen Leiters Carsten Wehlmann. Die sportliche Lage und der personelle Verlust des erfolgreichen Managers sorgen dafür, dass den Lilien entscheidende Monate bevorstehen.
Als die Aufstiegshelden am 29. Mai 2023 mit ihren Fans den Aufstieg feierten, war die Stimmung völlig ausgelassen. Die Sonne schien nicht nur auf den überfüllten Karolinenplatz, sie dröhnte dank Alberto Colucci auch lautstark aus den Boxen. Und unsern Nouki, der heizte der Veranstaltung mit seiner grandiosen Band „Maladd in de tête“ noch mal so richtig ein. Es war der großartige Schlusspunkt einer starken Spielzeit. Den Spielern und einigen Fans dürfte am Tag danach gehörig der Kopf gedröhnt haben. Ein halbes Jahr später ist der Kater erneut da, wenn auch anders.
Ernüchterndes Jahresende
Das liegt an der erwartet schweren Aufgabe Bundesliga. Noch ist der Zug zum Klassenerhalt nicht abgefahren, aber zehn Punkte nach 16 Partien waren zur Winterpause dann doch sehr mager. Was besonders unangenehm auffiel, war die Anfälligkeit der Defensive. Galt die Abwehr als das Prunkstück der Aufstiegssaison, so stellt der SVD eine Etage höher die Schießbude der Liga. Nach dem letzten Kick vor Weihnachten war deshalb die Erwartungshaltung, dass Manager Carsten Wehlmann im Januar ein, zwei oder gar drei neue Spieler holt, die mehr Stabilität ins Gesamtsystem bringen würden. Doch dann platzte zwei Tage vor Silvester völlig unerwartet die Bombe. Wehlmann kündigte seinen Vertrag fristgerecht zum 31. März 2024. Einer der Erfolgsgaranten der letzten Jahre war plötzlich weg, denn die Führung der 98er beendete das Arbeitsverhältnis umgehend. Man wolle keine „Lame-Duck-Situation“ bei einer solch entscheidenden Personalie. Die Konsequenz: Mit Wehlmann kam dem SVD von jetzt auf gleich reichlich Know-how und ein guter Netzwerker abhanden.
Rückschläge als Chance?
Und so erinnern wir uns wehmütig an die umjubelten Aufstiegsfeierlichkeiten, bei denen „Wehle“ unter anderem mit Goalgetter Phillip Tietz und Hoffnungsträgern wie Filip Stojilkovic ausgelassen jubelte. Zum Jahreswechsel waren alle drei schon nicht mehr da. Identifikationsfigur Tietz wurde im Sommer unvermittelt zum Ligakonkurrenten FC Augsburg transferiert. Stojilkovic sollte für viele Fans überraschend gar keine Rolle mehr spielen und läuft nun auf Leihbasis für den 1. FC Kaiserslautern auf. Zusammen mit Wehlmanns Abgang zeigt das schmerzhaft, wie schnelllebig das Geschäft und wie kurzlebig Erfolge sind. Doch wie sagt mein Podcast-Kollege Daniel in unserem „Hoch & weit“-Podcast immer so gerne? „Eine Niederlage kann auch eine Chance sein!“ Bei den Lilien sind es mit dem Verlust von Wehlmann und angesichts der aktuellen Tabellensituation gleich zwei Chancen.
Wie gefestigt sind die 98er?
Der SVD kann nun beweisen, dass er inzwischen so professionell und gefestigt aufgestellt ist, dass durch den plötzlichen Abgang des Sportlichen Leiters nicht gleich alles ins Wanken gerät. Wer erinnert sich nicht an 2016, als der plötzliche Abgang von „Trainer-Manager“ Dirk Schuster die Vereinsführung ebenfalls kalt erwischte. Danach hatten die 98er keine schlüssige Antwort auf den Verlust des Überperformers. Die „Lösungen“ Holger Fach und Norbert Meier waren schon ein halbes Jahr später wieder Geschichte. Auf die Trennung von Wehlmann reagierten die Lilien mit einer dreiköpfigen Task Force, die die wichtige Kaderplanung übernehmen sollte: Tom Eilers, bestelltes Präsidiumsmitglied für den Lizenzspielerbereich, Coach Torsten Lieberknecht und Michael Stegmayer, Leiter Organisation Lizenzspielerabteilung, waren und sind gefordert, mit der Scouting-Abteilung die richtigen Verstärkungen zu finden und ans Bölle zu lotsen.
Wehlmann-Nachfolge als Königstransfer
Die Task Force kann aber nur eine Übergangslösung sein. Dementsprechend wichtig wird es, einen Volltreffer bei der Nachfolge in der sportlichen Leitung zu landen. Eine Aufgabe, bei der schon ganz andere Klubs danebengegriffen haben. Der Neue muss bessere Treffer landen, als es Wehlmann im Sommer gelungen war. Im besten Fall darf der nächste Sportliche Leiter im Sommer eine zweite Erstligasaison vorbereiten. Im Fall eines sehr viel wahrscheinlicheren Abstiegs muss er einen wohl größeren Kaderumbau stemmen und dabei die richtigen Akzente für die 2. Bundesliga setzen. Das wäre eine alles andere als leichte Herausforderung. Die Lilien wissen schließlich aus eigener Erfahrung, wie schnell man als Erstligaabsteiger in der 2. Liga in Abstiegsnöte geraten kann. Und das jüngste Beispiel Arminia Bielefeld zeigt, wie schnell man sich binnen Jahresfrist tatsächlich in der 3. Liga wiederfinden kann. Ein solches Szenario wäre für den SVD mit seinem neuen Stadion der absolute Worst Case.
Die 98er müssen in diesem Jahr mit ihren Entscheidungen mehrfach ins Schwarze treffen. Sie brauchen nicht nur Spieler, die ihnen weiterhelfen, sie brauchen allen voran einen Manager, der aus den Möglichkeiten am Bölle das Maximum herausholt. Einer, der genug Kreativität, Kontakte und Know-how mitbringt, um den Anspruch der Lilien mit Leben zu füllen. Dieser besteht gemäß Leitbild darin, die Top 20 in Deutschland herauszufordern. Und er muss menschlich ins unaufgeregte Darmstädter Umfeld passen. Wenn die Lilien ein glückliches Händchen bei der Nachbesetzung von Wehlmann (und dessen starker sportlicher Bilanz) haben, dann steigt die Chance, dass sich die Lilien tatsächlich im erweiterten Bundesliga-Fußball etablieren. Klingt ganz nach einem Königstransfer.
„SV 98 … IMMER … Europapokal!“
Sa, 3.2., 15.30 Uhr: SV Darmstadt 98 — Bayer 04 Leverkusen
Sa, 10.2., 15.30 Uhr: Borussia Mönchengladbach — SV Darmstadt 98
Sa, 17.2., 15.30 Uhr: SV Darmstadt 98 — VfB Stuttgart
Sa, 24.2., 15.30 Uhr: SV Werder Bremen — SV Darmstadt 98
Zwei Ausstellungen zum Vereinsjubiläum
Ein digitales Lilien-Museum mit zahlreichen Trikots in 3D-Animation findet Ihr seit September 2023 online unter lilien.museum.
Außerdem läuft die Sonderausstellung „125 Jahre Lilien: Zusammenhalt. Offenheit. Vielfalt.“ mit historischen Fotos, exklusiven Exponaten wie Ehrennadeln, Plakaten, Wimpeln und Fanschals sowie weiteren Unikaten aus der Vereinsgeschichte:
Stadthalle Ober-Ramstadt | noch bis 25.2.24 | So von 14.30 bis 17.30 Uhr, weitere Infos: museum-ober-ramstadt.de
Matthias und der Kickschuh
Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!
