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Recording, Mixing und Mastering: Tonstudios sind wesentlicher Bestandteil der Musikbranche und unabdingbar für eine Kulturszene, die über Proberaumaufnahmen hinausgehen möchte. In der Artikelserie „Klangspuren“ stellen wir Euch regelmäßig Darmstädter Tonstudios vor – denn davon gibt es in unserer Stadt eine ganze Menge.

Folge 4 führt uns erneut auf das Goebel-Gelände nahe dem Hauptbahnhof. Hier teilen sich Lolo Blümler (Ironbar Studios) und Mark Rückert (Lofthaus Studios), die beide seit Jahrzehnten tief in der Darmstädter Musiklandschaft verwurzelt sind, einen gemeinsamen, circa 150 Quadratmeter großen Studiokomplex: Ein Fenster verbindet den Aufnahmeraum mit dem geräumigen Studioraum, daneben liegen zwei weitere Räume, in denen bis vergangenen Sommer noch Gyso Hilger mit Nektarium Music mixte. Nachdem Gyso zum Tonstudio Raum 103 in die Landwehrstraße gezogen ist (siehe Folge 1 aus dem März-P 2024), rückten Felix und David Gumpper nach und beschallen die beiden Räume seitdem mit Drum’n’Bass beziehungsweise Techno und House. Dazu kommt mit Lars Schwarz (Keyboarder von Dr. Woggle & the Radio) ein weiterer Mitmieter für einen Tag die Woche in die Studiogemeinschaft.

Doch die Geschichte von Ironbar Studios und Lofthaus Studios beginnt schon Anfang der Neunziger: 1992 startete Mark in einem Bickenbacher Keller gemeinsam mit einem Freund ein erstes kleines Tonstudio. Zwei Jahre später zog er ins – im Keller untergebrachten – „Loft“ in der Darmstädter Liebigstraße unweit des Kulturclubs Sumpf, wo noch heute viele lokale Bands ihre Proberäume haben. Im Loft arbeitete er gemeinsam mit Gyso Hilger – und in direkter Nachbarschaft zu Lolo Blümler, der mit seinem Tonstudio (damals noch unter dem Namen „Sesamstudio“) im Raum nebenan bereits Teil der Loft-Community war. „Es gab sogar einen kleinen Skatepark da unten, einen Tanzraum und irgendwann standen alle gemeinsam am Tischkicker“, schwärmt Lolo. „Das war schon ein echt schönes kulturelles Zentrum. Auch wenn es damals natürlich relativ dreckig war unter der Erde. Durch mein Kellerfenster konnte ich beim Mixing die Füße der Leute auf der Kasinostraße beobachten.“ Mark ergänzt: „Am Anfang gab es da nicht mal eine Toilette. Und wenn es regnete, lief bei manchen Räumen mit Außenwand das Wasser rein. Das gab dann schon mal einen modrigen Geruch.“

Modrige Wände sind passé

Die Aussicht auf ein größeres Studio mit Tageslicht war also verlockend und so zogen Rückert, Blümler und Hilger gemeinsam mit Veranstaltungstechniker Jan Weimann (Inhaber von Tonwerk Technik Service) im November 2003 auf das Goebel-Gelände, wo man damals nach Kulturbetrieben suchte. Etwa ein dreiviertel Jahr lang konzipierten und bauten sie mithilfe eines Schreiners gemeinsam die Etage eines ehemaligen Bürogebäudes aus. So entstand in eigener Handarbeit der neue Studiokomplex. „Bei den Aufnahmeräumen haben wir quasi einen Raum in den Raum gebaut. Das war schon viel Arbeit“, erinnert sich Lolo. „Aber der Lohn war, dass wir eine relativ gute akustische Trennung haben.“

Seitdem teilen sich Mark und Lolo die Räumlichkeiten für ihre Musikproduktionen. Gearbeitet wird jedoch unabhängig voneinander an eigenen Projekten, wofür das Studio quasi 24/7 zur Verfügung steht. Doch neben ihren Aufträgen für Recording, Mixing oder Mastering sind die beiden auch anderweitig in der Szene aktiv. Mark ist als Live-Tontechniker unterwegs (unter anderem in Centralstation, Darmstadtium oder Bessunger Knabenschule) und er spielt darüber hinaus Schlagzeug in der Desert-/Country-Rock-Band Candyjane. In der Vergangenheit trug er nicht nur als Musikproduzent, sondern auch als Mitglied diverser Bands zum lokalen Musikleben bei – etwa bei Bushfire, Schnayder, Molly Unemployed oder Clumsy Fools.

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Musiker und Tontechniker

Auch Lolo sieht man gelegentlich als Tontechniker auf Konzerten. Seinen Abschluss als Toningenieur machte er an der SAE-Schule in Frankfurt. Bei der Auflistung vergangener Bands kommt der Schlagzeuger auf stolze 19 (teilweise fünf Bands gleichzeitig), aktiv ist er bei den Darmstädter Ska-Urgesteinen Ska Trek sowie als regelmäßige Aushilfe bei der Ska-Band Dr. Woggle & the Radio. Neben seiner Zeit bei den Woog Riots und The Data Break spielte er unter anderem mit Jörn Elling Wuttke (Acid Jesus, Alter Ego, Sensorama) in den Bands The Sheets und Tieflader. Die Darmstädter Band Everest mit dem heutigen Kotzreiz-Schlagzeuger Christopher „Baku“ Kohl, der auch bei Jennifer Rostock trommelte, begleitete Lolo auf ihrer England-Tour.

„Wir waren immer alle kurz vor dem Durchbruch“, scherzt Mark zusammenfassend. Fördermittel oder große „Industriejobs“ hatten sie nie, erklärt Lolo weiter. „Wenn du das willst, musst du anders arbeiten, auch mit anderen Leuten, und du hast bestimmte Freiheiten nicht mehr“, merkt Mark an. Und Lolo erzählt die Geschichte, als der Produzent von Reamonn („Supergirl“) ihn einmal anrief. Lolo sagte ihm ab. Sein Studio war an den Tagen bereits besetzt.

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Gewinne für neue Studiotechnik

Gewinne wurden stets in neue Hardware investiert, welche sich gegenseitig zur Verfügung gestellt wird. Und so häufte sich über die Jahrzehnte eine ansehnliche Sammlung insbesondere analoger Studiotechnik an. Darunter finden sich so manche Raritäten, etwa mehrere Bandechos wie das Roland RE-201 Space Echo. In der Zeit vor digitaler Technik wurde er als Allrounder für Delay-Effekte eingesetzt – besonders in Dub Music, aber auch im Rock’n’Roll oder Psychedelic Rock. „Den benutze ich immer, wenn die Delays nicht digital klingen sollen“, erklärt Lolo. „Das Band rutscht, das Band eiert – das hat einfach einen anderen Vibe. Es ist nicht so perfekt.“ Auch Mark schwärmt von seinem analogen High-End-Equipment wie etwa einem umgebauten Röhren-Pre-Amp. Der befreundete Elektroingenieur und Bastler Hans Dickler aus der Hi-Fi-Szene hat für Ironbar Sudios und Lofthaus Studios schon so manches altes Radiostudioequipment „gerackt und gerecapt“. Doch auch selbst wird gerne an der Studioelektronik gelötet und geschraubt. Und natürlich arbeitet man im Studio auch mit digitalen Elementen, „quasi hybrid“, wie Lolo erläutert.

Die Musik, die dabei entsteht, bewegt sich grob von gitarrenlastigem Rock bis Punk, auch Ska und Synthie, wobei beide Studios nie festgefahren auf eine bestimmte Musikrichtung waren. Den ein oder anderen „Darmstädter Meilenstein“ könne man aber verbuchen. So ist etwa das erste Okta-Logue-Album bei Ironbar Studios entstanden, einige Songs sowie der Mix der ersten Wight-Platte, genauso wie das Album „Regenzeit in der Wüste“ des Darmstädter Rappers Manges, das vom Musikexpress unter den „40 besten Platten des Deutschrap“ aufgelistet wird. Jahrzehntelange Stammkund:innen bei Lolo sind die stadt- und international szenebekannten Woog Riots sowie die bereits seit über 30 Jahren bestehenden The Satelliters. Von Letzteren habe er um die zehn Platten gemacht, „die sind auch einfach vom Hemd bis zum Schnürsenkel und vom Kabel bis zum Gitarrenverstärker original Sixties“, lacht Lolo. Der typische Garage-Sound wurde über die Zeit ein Spezialgebiet von ihm.

Internationale Hits!

Seinen ersten internationalen Hit landete der Ironbar-Studios-Betreiber aber mit einem Album der US-amerikanischen Singer/Songwriterin Barbara Manning, die auf Tour in Darmstadt war. Mitte/Ende der 1990er recordete er vor allem viel für die sehr lebendige Darmstädter Hardcore-Szene, etwa Bands wie Acheborn, Cumicom, Dead Beat oder Narsaak. Legendär ist außerdem die Musik der dadaistischen The Dass Sägebett. „Das war so mein Starting Point im alten Studio. Ihr erstes Konzert 1989 beim Abiball auf der Marienhöhe war direkt ein Eklat“, erinnert sich Lolo. „Es wurde versucht, während des Konzerts die Vorhänge zuzuziehen und irgendwann haben die Lehrer die Polizei geholt, weil die Band eine Flex an ihre Gitarre gehalten hat.“ Weitere Bands und Künstler:innen, die in den Ironbar Studios aufnahmen, waren Gwen Dolyn, Stern Fucking Zeit, FNFN, Ease Up Ltd., Dirty Flamingo, New York Wannabes, Dr. Woggle & the Radio und The Wright Valley Trio. Und hier wurden auch die beiden P-Sampler mit Musik aus Darmstadt gemastert. In letzter Zeit lag der Schwerpunkt auf Bands aus den Bereichen Synthie/Indie/Post-Punk, vor allem aus Franken wie Hildegard von Binge Drinking, Taxi Lotta und Schubsen. „Es soll aber kein Kitsch sein“, ist Lolo Blümler wichtig.

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Eine weitere Darmstädter Klassiker-Band ist Bushfire. Die Heavy-Blues-Rocker gibt es bereits seit 20 Jahren, wobei alle Alben bei Lofthaus Studios entstanden sind; ebenso die Musik der Hardrock-Band Meloi. Und auch am ersten Album von Lui Hill (damals noch Phil Fill) hat Mark Rückert mitgearbeitet. Der Neo-Soul-Künstler aus Darmstadt und Berlin betreibt inzwischen sein eigenes Studio und produziert direkt neben dem Lofthaus Studio auf dem Goebel-Gelände. Nicht zu vergessen sind aber auch die Lilien-Klassiker „Europapokal“ (Milton Fisher), „Allez Lez Bleus“ und „Heller ist schneller“ (beide Decubitus), die noch heute am Böllenfalltor zu hören sind. Auch sie stammen aufnahmetechnisch allesamt von Lofthaus Studios. Weitere Kund:innen von Mark Rückert waren unter anderem Concrete Jungle, Pornophonique, Candyjane und Nosie Katzmann, bei dem er früher auch im Studio mitgearbeitet hatte. Der Darmstädter feierte Anfang der 1990er-Jahre mit den beiden Dancefloor-Nummer-eins-Hits „Mr. Vain“ (Culture Beat) und „More and More“ (Captain Hollywood Project) große internationale Erfolge.

Aktuell recorded Mark erneut Bushfire und die Darmstädter Blackened-Stoner-Doom-Band Satao. Und Lolo mischt gerade das elektronische Krautrock-Duo Zement und nimmt demnächst das Freiburger Noise-Rock-Duo Yass auf. Ironbar und Lofthaus bleiben also am Puls der Zeit.

 

Klangspuren-Steckbrief

Wer? Lolo Blümler und Mark Rückert

Fokus? Musikproduktionen in Richtung Rock, Punk, Synthie und Ska

Besonderheiten? Umfassendes analoges Equipment

Wen aufgenommen? Unter anderem Woog Riots, Bushfire, The Satelliters, Okta Logue, Wight, Ska Trek und Narsaak

Kontakt und Website? ironbar-studios.de, lolob@gmx.de, (0177) 5983618

lofthaus.de, mark@lofthaus.de, (06151) 158621